Dokumentation zu diesem Projekt

Ausgrabungen in Kalapodi

Einführung

Um 1200 v. Chr. endete die spätbronzezeitliche Hochkultur Griechenlands, die nach ihrem Hauptfundort, der grandiosen Zitadelle von Mykene, die mykenische genannt wird, in einer großen Katastrophe. Von der Forschung wurde lange Zeit vermutet, dass auf diese Epoche eine Zeit des Niedergangs und der Stagnation folgte, die als „Dunkle Jahrhunderte“ (1200 bis 850 v. Chr.) bezeichnet wird. Anschließend begann eine „Griechische Renaissance“, während der unter Bezugnahme auf die heroische Vergangenheit der mykenischen Epoche das Polis-System entstand und die Grundlagen für die große Zeit Griechenlands in der Klassischen Epoche gelegt wurden. Neuere Entdeckungen, vor allem die der Nekropole von Lefkandi auf Euböa, weisen aber darauf hin, dass eine Reihe der für den Aufstieg der griechischen Kultur im Verlauf des ersten vorchristlichen Jahrtausends grundlegenden Voraussetzungen bereits in den „Dunklen Jahrhunderten“ gelegt wurden, die demnach keinesfalls nur eine Zeit der Krise waren. Religion und Kult dieser wichtigen Periode der griechischen Geschichte sind allerdings noch immer weitgehend unbekannt.

Dem Heiligtum von Kalapodi in Phokis kommt vor dem Hintergrund der neueren Forschung besondere Bedeutung zu. Es liegt in einer sanft geschwungenen Hügellandschaft nahe dem wichtigen antiken Weg, den Pausanias als Leofóros bezeichnet und der nördlich des Passes von Hyampolis von den Thermopylen nach Orchomenós, Livadia und Theben führte. Während das Heiligtum früher als das der Artemis Elaphebolos von Hyampolis identifiziert wurde, ist jetzt durch eine Kombination von topographischen Untersuchungen und Inschriftenfunden im Heiligtum und seiner Umgebung nachgewiesen, dass es sich um das altehrwürdige Orakel-Heiligtum des Apollon von Abai handelt, eines der bedeutendsten Heiligtümer Griechenlands, das bis zu seiner Zerstörung durch die Perser 480 v. Chr., nach der Schlacht an den Thermopylen, anderen Orakel-Heiligtümern des Apollon wie Delphi und Didyma ebenbürtig war. Im Zentrum des Heiligtums liegen zwei parallel ausgerichtete Tempel. Nach der Zerstörung durch die Perser wurde der Nordtempel wieder aufgebaut, nicht aber der Südtempel, in dem lediglich ein Kultschacht angelegt wurde.

Seit 2004 arbeitet in Kalapodi mit Unterstützung der Stiftung ein international besetztes Team des Deutschen Archäologischen Instituts Athen unter der Leitung von Prof. Dr. Wolf-Dietrich Niemeier, das die dort in den Jahren 1973 bis 1982 von einem Mitarbeiter der Abteilung Athen des DAI, Dr. Rainer Felsch, durchgeführten Arbeiten wieder aufgenommen hat. Eine Auswahl der reichen Funde aus dieser Zeit ist heute im Archäologischen Museum von Lamia ausgestellt. Während die Ausgrabung des Nordtempels und seiner bis in das neunte Jahrhundert v. Chr. zurückreichenden Vorläufer seinerzeit weitgehend abgeschlossen werden konnte, rückten der erst 1978 entdeckte hocharchaische Südtempel und insbesondere auch seine Vorläufer ins Zentrum der aktuellen Arbeiten in Kalapodi.

Die 2004 aufgenommenen Grabungen haben eine in Griechenland einzigartige Abfolge von 8 Tempeln vom 15. Jahrhundert  bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. hervorgebracht. Die übereinander liegenden Tempel geben außerdem wesentlichen Aufschluss über die in der Forschung umstrittene Kontinuität von Kult und Religion über die so genannten Dunklen Jahrhunderte (11.-8. Jahrhundert v. Chr.) hinweg sowie über die Ursprünge der griechischen Tempelarchitektur.

Ergebnisse

Im Verlauf der neu aufgenommenen Arbeiten konnten Prof. Niemeier und sein Team in Kalapodi bisher drei übereinander errichtete Tempel ergraben. Es gibt Indizien dafür, dass nach unten weitere Tempelbauten bis zur mykenischen Schicht folgen. Bereits in der ersten Kampagne im Jahr 2004 stießen die Archäologen in der Nordperistasis des hocharchaischen Tempels auf Hinweise auf die Zerstörung durch die Perser, darunter auf in Kalapodi in einzigartiger Weise am Ort erhaltene Votive von Streitwagenrädern. Ein Schnitt im Westen des hocharchaischen Tempels bestätigte die Hoffnung auf die Präsenz älterer, ungestörter Bauten, deren Inventare vollständig erhalten zu sein schienen. Die an verschiedenen Stellen des Südtempels zutage gekommenen mykenischen Scherben bildeten ein Indiz dafür, dass die Abfolge wohl tatsächlich bis in die mykenische Epoche zurückreicht.


Im Rahmen der weiteren Kampagnen konnte nachgewiesen werden, dass das Heiligtum nicht, wie zuvor vermutet, erst in der Zeit nach dem Untergang der mykenischen Paläste um 1200 v. Chr. gegründet wurde, sondern zumindest bereits zu Beginn der mykenischen Palastzeit, vielleicht sogar schon in der mittelhelladischen Periode (19. bis 18. Jahrhundert v. Chr.) bestand, in der es möglicherweise Verbindungen zum minoischen Kreta hatte. Fragmente von Prunkvasen und von Krateren zum Mischen von Wein und Wasser mit zum Teil einzigartigen kriegerischen Darstellungen, Fragmente von Vorratsgefäßen, Küchengeschirr und Mahlsteine sowie Tierknochen, Hülsenfrüchte und Getreidekörner sprechen dafür, dass das Heiligtum in der Zeit nach dem Untergang der mykenischen Paläste ein ritueller Treffpunkt der neu aufsteigenden kriegerischen Eliten der Region war.

Einmalig für die griechische Welt ist der in der Kampagne 2006 endgültig nachgewiesene und 2007/2008 teilweise freigelegte mittel- bis spätgeometrische Südtempel des achten Jahrhunderts v. Chr. (Südtempel 6). Von großem religionshistorischen Interesse ist, dass er in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts rituell bestattet wurde, um einem größeren Nachfolgebau Platz zu machen. Nachdem die Lehmziegelmauern niedergelegt worden waren, ordnete man auf dem Boden des Tempels zahlreiche Metall-Votive an, ein Schwert und Bratspieße aus Eisen, Schmuck aus Bronze (Anhänger, Halsketten, Gewandnadeln) sowie den wichtigsten Fund der Kampagne 2008, eine Bronzeschale mit der Reliefdarstellung eines Reigens frontal wiedergegebener, sich an den Händen haltender Männer. Es handelt sich um einen Import aus dem Vorderen Orient, dem nordsyrisch-späthethitischen Bereich, der Zeugnis von der internationalen Bedeutung des Heiligtums bereits im achten Jahrhundert ablegt. Um den Tempel herum waren rituelle Mahlzeiten abgehalten worden, wie die Funde von großen Mengen Aschen mit Tierknochen sowie von eisernen Bratspießen und Messern zeigen. 2010 wurde die Ausgrabung abgeschlossen. Im Osten des Tempels kam dabei die Kultbildbasis aus Kalkstein und davor, in Sturzlage, das verbrannte Kultbild in Gestalt einer anikonischen Planke zutage. Dieser bisher einzigartige Fund bestätigt die antiken Quellen, nach denen die ältesten Kultbilder Griechenlands die so genannten Xoana, so auch das der Hera von Samos, die Gestalt einfacher, anikonischer Holzplanken hatten.

In dem auf den Tempel des achten Jahrhunderts folgenden spätgeometrischen bis früharchaischen Südtempel wurden in den Kampagnen 2006 und 2008 Fragmente einer Wandmalerei mit Darstellung einer Schlachtszene aufgefunden, die ein bedeutendes Denkmal für den Wiederbeginn der griechischen Wandmalerei im mittleren siebten Jahrhundert nach der Unterbrechung infolge des Untergangs der freskengeschmückten mykenischen Paläste um 1200 v. Chr. darstellen und daher in der Geschichte der griechischen Wandmalerei einen wichtigen Platz einnehmen werden. In 2007 wurde das als Apsis gestaltete Westende dieses Tempels freigelegt. In der Apsis und nach deren Zerstörung auf dem Lehmziegelversturz niedergelegte Votive bilden höchst interessante Indizien für Kult und Ritual.

In dem auf den Tempel des achten Jahrhunderts folgenden spätgeometrischen bis früharchaischen Südtempel wurden in den Kampagnen 2006 und 2008 Fragmente einer Wandmalerei mit Darstellung einer Schlachtszene aufgefunden, die ein bedeutendes Denkmal für den Wiederbeginn der griechischen Wandmalerei im mittleren siebten Jahrhundert nach der Unterbrechung infolge des Untergangs der freskengeschmückten mykenischen Paläste um 1200 v. Chr. darstellen und daher in der Geschichte der griechischen Wandmalerei einen wichtigen Platz einnehmen werden. In 2007 wurde das als Apsis gestaltete Westende dieses Tempels freigelegt. In der Apsis und nach deren Zerstörung auf dem Lehmziegelversturz niedergelegte Votive bilden höchst interessante Indizien für Kult und Ritual.

Während der Grabungskampagne 2009 wurden nach der Herausnahme des klasssischen Einbaus in der Cella des archaischen Südtempels das so genannte Adyton und der geometrische Südtempel mit seinen vielen Votiv-Niederlegungen weiter untersucht. Beim Adyton war bislang unklar, ob es zum spätgeometrischen bis früharchaischen Südtempel oder zum provisorischen Heiligtum gehörte. Die sorgfältige Untersuchung des Baus hat nun gezeigt, dass er zwei Phasen hat. Die erste, von der nur das Fundament aus Kalksteinblöcken erhalten ist, gehörte zum spätgeometrischen bis früharchaischen Südtempel. Auffällig ist, dass es keinen Hinweis auf die Existenz eines Kultbildes gibt, was die Frage aufwirft, ob dieser Tempel bzw. das Adyton gegebenenfalls der Sitz des Orakels war. Nach der Zerstörung des Tempels wurde das Adyton im provisorischen Heiligtum auf dem alten Fundament wieder aufgebaut, nun als freistehender Lehmziegelbau. Auf die große Bedeutung des Adytons weist auch hin, dass dieses während der Aufschüttung der Terrasse für den archaischen Südtempel so lange wie möglich zugänglich gehalten wurde.

Im geometrischen Tempel entdeckten die Wissenschaftler in 2009 vor der Nordwand eine einzigartige Waffenweihung aus zwölf Eisenschwertern (sechs mit der Spitze nach Westen, sechs nach Osten), drei Lanzenspitzen, einem Schildbuckel, einem Bogen und einer großen Gewandnadel. Allem Anschein nach waren die Waffen als Waffenmal (Tropaion) an der Wand aufgestellt.

 

In den Kampagnen 2011 und 2012 wurden die Vorgänger des Südtempels 6 untersucht. Südtempel 5 (frühgeometrisch, 9. Jahrhundert v. Chr.) und 4 (protogeometrisch, 10. Jahrhundert v. Chr.) waren in derselben Technik (Lehmziegelmauern auf Steinsockel) wie Südtempel 6 gebaut, aber entgegengesetzt orientiert. Sie hatten den Eingang im Westen und einen apsidalen Abschluss im Osten. Holzpfosten, die zur Stützung des Dachs vor den Außenwänden der Südtempel 5 und 4 aufgestellt wurden, sind als Vorläufer der Säulenstellungen griechischer Tempel zu interpretieren. In der Apsis des Südtempels 4 fanden sich zwei eiserne Gewandnadeln und eine bronzene Gürtelscheibe, möglicherweise von der Bekleidung eines Xoanon, wie sie in den antiken Quellen bezeugt ist.

Die drei ältesten Südtempel sind mykenisch. In Südtempel 3 (12.-11. Jahrhundert v. Chr.) und seiner Umgebung entdeckten die Archäologen zahlreiche Gefäße zum Essen und Trinken, die als Hinweis auf rituelle Mahlzeiten zu werten sind. Den Kultcharakter des Südtempels 3 bezeugen außerdem die Fragmente einer tönernen Stierfigur mit auf der Töpferscheibe gedrehtem Körper. Derartige Stierfiguren gehören zum charakteristischen Fundgut in mykenischen Heiligtümern dieser Zeit.

In Südtempel 2 (13. Jahrhundert v. Chr.) kam ein hufeisenförmiger Lehm-Altar zutage, zu dem es eine Parallele im Kultzentrum von Mykene gibt. Dem Altar gegenüber liegt eine Stein-Plattform, auf der Tiere geopfert wurden. Direkt neben dem Altar lag noch der Kiefer eines hier geopferten Schafs. Kult wird außerdem durch die Fragmente einer weiblichen Terrakotta-Figur bezeugt, die Parallelen in verschiedenen mykenischen Heiligtümern dieser Zeit hat.

Südtempel 1 (15.-14. Jahrhundert v. Chr.) hatte Vorgänger des Altars und der Plattform von Südtempel 2. Nach der Zerstörung von Südtempel 1 wurden auf seiner Ruine als Gründungsopfer für Südtempel 2 24 Siegel aus Steatit, Fluorit und Glas niedergelegt.

Westlich der Südtempel wurde bei den Arbeiten der Jahre 2011 und 2012 die 2008 entdeckte Bronzewerkstatt weiter untersucht. Dabei wurden die Gussgrube für eine Statue, wahrscheinlich die Kultstatue des zweiten Klassischen Nordtempels (zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr.), sowie die Überreste des Schmelzofens und Fragmente von Gussformen, Gusstiegeln, Blasebälgen etc. entdeckt.

Die Grabungen haben eine in Griechenland einzigartige Abfolge von 8 Tempeln vom 15. Jahrhundert bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. hervorgebracht, die wichtige Indizien für die in der Forschung umstrittene Kontinuität von Kult und Religion über die so genannten Dunklen Jahrhunderte (11.-8. Jahrhundert v. Chr.) hinweg bieten und Rückschlüsse auf die Ursprünge der griechischen Tempelarchitektur zulassen. In der internationalen Archäologie gilt die Grabung in Kalapodi/Abai als eine der gegenwärtig wichtigsten in Griechenland, was sich in Vortragseinladungen des Grabungsleiters Prof. Niemeier an zahlreiche rennomierte Institutionen in Deutschland, Frankreich, England, Italien, USA und Australien widerspiegelt.

Fördermaßnahmen

Die Stiftung unterstützt das Projekt seit 2004 durch die Gewährung von Fördermitteln in Höhe von insgesamt über 400.000 Euro zur Übernahme der Kosten für neun Grabungskampagnen in Kalapodi in den Jahren 2004 bis 2012.

Das Projekt im Film

Dieses Forschungsvorhaben ist Teil von L.I.S.A.video, dem auf L.I.S.A - Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung verankerten Filmprojekt. Insgesamt acht Teams von Wissenschaftlern, die in einem von der Stiftung geförderten Projekt tätig sind, haben im Jahr 2009 ihre Forschungsarbeiten gefilmt. Diese „Filmtagebücher“ wurden professionell verarbeitet und sind in zehn dreiminütigen Episoden im Portal veröffentlicht worden.

Eine zweite Serie mit Videos aus den Geisteswissenschaften wurde ab September 2012 auf L.I.S.A. gezeigt. Insgesamt fünf Teams von Wissenschaftlern, die in einem von der Stiftung geförderten Projekt tätig sind, haben in dieser Staffel ihre Forschungsarbeiten gefilmt. Fünf „erzählende“ Episoden dokumentieren den Forschungsprozess. Vier weitere Folgen sind jeweils einem Forschergespräch, einem Teamporträt, dem wissenschaftlichen Umfeld und einem relevanten Objekt, dem „Schlüsselstück“, gewidmet. Die Filme wurden episodenweise im Wissenschaftsportal veröffentlicht.

Klicken Sie auf die folgenden Links, um direkt zu den Filmproduktionen bei L.I.S.A.video zu gelangen:

  1. Das Orakel-Rätsel - Ausgrabungen in Kalapodi (Griechenland)
  2. Ewige Götter - Ausgrabungen in Kalapodi (Griechenland)
  3. Nachbetrachtungen zu Kalapodi

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For an English version, please click the following links:

  1. Abae - the mystery of the oracle (Greece)
  2. Eternal Gods? - Excavations in Kalapodi (Greece)
  3. Follow-up Comments on Kalapodi

Dieses Projekt wurde zuletzt im Herbst 2012 dokumentiert.