Dokumentation zu diesem Projekt

Holocaust Angst. Die Bundesrepublik Deutschland und das amerikanische Holocaustgedenken seit den 1970er Jahren

Einführung

In den USA entwickelte sich seit den späten 1970er Jahren eine spezifische Kultur der Erinnerung an den Holocaust. Wichtige Etappen waren unter anderem die Ausstrahlung
der NBC-Serie Holocaust (1978 /79), die Kontroverse um den gemeinsamen Besuch von Helmut Kohl und Ronald Reagan einer Kriegsgräberstätte in Bitburg im Jahr der 40jährigen Wiederkehr des Kriegsendes 1985, die Errichtung des 1993 vollendeten United States Holocaust Memorial Museum in Washington, Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste« (1993 / 94) und das Erscheinen von Daniel J. Goldhagens Studie Hitler’s Willing Executioners im Jahr 1996.

Dr. Jacob S. Eder hat in seiner Dissertation untersucht, wie bundesrepublikanische Politiker, Diplomaten sowie Repräsentanten von Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen auf die zunehmend zentrale Rolle des Holocaust in der amerikanischen Öffentlichkeit reagierten. Dabei hat er sich zum einen mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen der 1980er und 1990er Jahre beschäftigt und zum anderen geschichtspolitische Auseinandersetzungen in beiden Staaten in den Blick genommen, insbesondere die bundesrepublikanische Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit und die »Amerikanisierung« des Holocaust. Im Zentrum steht die These, dass ein um Bundeskanzler Helmut Kohl formierter Kreis mehrheitlich konservativer westdeutscher Politiker und Regierungsvertreter sowie mit ihnen verbundene Personen in privaten Organisationen und Stiftungen sich selbst als Opfer des amerikanischen Umgangs mit dem Holocaust betrachtete. Dr. Eder beschreibt die daraus resultierende Abwehrhaltung
als »Holocaust Angst«. Ziel der aus diesem Umfeld lancierten Geschichtspolitik war es, eine »Fixierung auf den Holocaust« zu minimieren und die Bundesrepublik als gleichberechtigten Partner im Bündnis der westlichen Staaten zu etablieren. Man befürchtete, dass die öffentliche Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden in Form von Museen, Denkmälern, Gedenkveranstaltungen und Programmen in Film und Fernsehen das Ansehen der Bundesrepublik in den USA schädigen und ihren Status als Bündnispartner in Frage stellen könnte. Insbesondere vor dem Hintergrund des »zweiten« Kalten Krieges Anfang der 1980er Jahre erschien diese mögliche Entwicklung als konkrete politische Bedrohung, da die Bundesrepublik das Bündnis mit den USA angewiesen war.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel deutscher Initiativen in den USA, ein positives Bild der Nachkriegsgeschichte und der Bundesrepublik zu vermitteln. Dr. Eder untersucht die Reaktionen der deutschen Politik und Öffentlichkeit in fünf Fallstudien: anhand des Umgangs westdeutscher Diplomaten mit der amerikanischen Erinnerungskultur in den späten 1970er Jahren, der Beziehungen zwischen der Kohl-Regierung und jüdischen Organisationen in den USA in den 1980er Jahren, der versuchten Einflussnahme bundesrepublikanischer Politiker auf die Gestaltung der Ausstellung des Washingtoner Holocaust-Museums, der deutschen Wissenschaftspolitik in den USA, beispielsweise im Kontext der Gründung des Deutschen Historischen Instituts in Washington, sowie des Wandels des politischen Umgangs mit der Holocaust-Erinnerung nach der Wiedervereinigung.

Grundlage für die Studie sind erstmals zugängliche Quellen in amerikanischen und deutschen Archiven, die Berichterstattung in Zeitungen und politischen Magazinen beider Länder sowie Interviews mit führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft. Die Versuche deutscher Politiker, Diplomaten, Lobbyisten und Wissenschaftler, den amerikanischen Diskurs über die deutsche Geschichte und den Holocaust zu verändern, scheiterten, so ein Ergebnis der Studie. Sie leisteten aber letztlich einen wichtigen Beitrag für den Aufbau guter Beziehungen zu jüdischen Organisationen in den USA und legten den Grundstein für einige Institutionen, die die deutsch-amerikanischen Beziehungen noch heute prägen. Die intensive deutsche Auseinandersetzung mit der amerikanischen Holocaust-Erinnerung führte darüber hinaus zu einer Veränderung der Erinnerungskultur auch in der Bundesrepublik: sie wirkte sich langfristig förderlich auf den politischen Umgang mit dem Holocaust aus.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützte das Projekt durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Stipendiat

Dr. Jacob S. Eder, Jena

Publikation

Dr. Eders im Berichtsjahr im Verlag Oxford University Press, New York, erschienene Studie wurde unter anderem mit dem Fraenkel Prize in Contemporary History der Wiener Library (London), dem Marko Feingold Dissertationspreis von Stadt, Land und Universität Salzburg und dem Betty M. Underberger Dissertation Prize der Society for Historians of American Foreign Relations ausgezeichnet.

Jacob S. Eder, Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany and American Holocaust Memory since the 1970s, New York, NY, 2016

Die Redaktion von L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, hat mit Dr. Eder über sein Buch gesprochen: www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/holocaust_angst

Bildnachweise

Abb.1: Courtesy Ronald Reagan Presidential Library

Abb.2–4: Courtesy of U.S. Holocaust Memorial Museum

Abb.5: Foto: Jacob S. Eder

Dieses Projekt wurde im März 2017 dokumentiert.