Dokumentation zu diesem Projekt

Insecure Democracy: Risk and Political Engagement in South Africa

Einführung

Auch 20 Jahre nach dem Ende der Apartheit und den ersten freien Wahlen im April 1994 durchziehen tiefe Gräben die Gesellschaft Südafrikas, während der multiethnische Staat darum bemüht ist, die Menschenrechte als Fundament seiner demokratischen Ordnung zu festigen. Diese Aufgabe ist von umso größerer Bedeutung, da öffentliche Institutionen wie die Polizei ganz wesentlich vom Apartheitsstaat geformt wurden und mit dessen System rassisch bedingter Dominanz und gesellschaftlichen Ausschlusses eng verwoben sind. Obwohl der Wohlfahrtsstaat in Südafrika signifikant ausgebaut worden ist und die Polizei einer tiefgreifenden Reform unterzogen wurde, leidet nahezu die Hälfte der Südafrikaner gegenwärtig unter drückender Armut, Gewalt und sozialer Ausgeschlossenheit. Im Jahr 2012 gab mehr als ein Drittel der südafrikanischen Haushalte an, aus Furcht vor Verbrechen Aufenthalte an öffentlichen Plätzen zu vermeiden. Die Kriminalität ist allgegenwärtig, Wachdienste und private Sicherheitsfirmen nehmen stark zu und konkurrieren mit dem Staat darum, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Im Zuge der Reform der Polizei wurden so genannte Community Policing Forums (CPF) geschaffen, partnerschaftlich aus den lokal zuständigen Einheiten der Polizei und Einwohnern zusammengesetzte Gremien, die einerseits Kriminalität kontrollieren und Angst reduzieren, andererseits aber auch die Qualität und die Legitimität der Polizei durch Dezentralisierung und direkte Bürgerbeteiligung verbessern sollen. Das Interesse der Bürger an diesen und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen ist jedoch insgesamt rückläufig. Nur wenige Südafrikaner engagieren sich über die Wahrnehmung ihres Wahlrechts hinaus politisch, und eine Mehrheit äußert, dass sie sich grundsätzlich nicht an öffentlichen Protesten oder Demonstrationen beteiligen möchte. Eine zentrale Frage für die Sozialwissenschaften ist daher, warum in einem Staat wie Südafrika, wo der hart erkämpfte Übergang zu einer multiethnischen Demokratie zunächst eine Vielzahl von Möglichkeiten für politische Mitwirkung eröffnet hat, das zivile Engagement inzwischen auf dem Rückzug ist, während sich überwunden geglaubte Phänomene wie Segregation, Gewalt und Selbstjustiz erhalten.

Forschungsvorhaben

Prof. Dr. Sarah Brooks untersucht im Rahmen ihres an der Schnittstelle zwischen Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Geographie und Politikwissenschaft angesiedelten Forschungsvorhabens am Beispiel der jungen Demokratie Südafrika, inwieweit sich persönliche Unsicherheit in unterschiedlichen Bereichen auf die Bereitschaft von Bürgern auswirkt, sich für ihren Staat zu engagieren. Ziel ist es, herauszufinden, ob und wie das Unvermögen sowohl der südafrikanischen Polizei als auch des Sozialstaates, die eigene Bevölkerung vor Gewalt und Armut zu schützen, deren Neigung beeinflusst, sich politisch beteiligen zu wollen, und zugleich den Rückgriff auf nichtstaatliche Formen des Schutzes befördert. Auf der Grundlage einer qualitativen Befragung von 1.500 Personen in Johannesburg und Kapstadt wird Prof. Brooks den Zusammenhängen zwischen verschiedenen Formen von Risiken, daraus resultierender Unsicherheit und politischem Engagement nachgehen und dabei auch danach fragen, ob die subjektiven Erfahrungen von Unsicherheit zu den objektiven Risiken passen, Verbrechen und Armut zum Opfer zu fallen. Die beiden zu untersuchenden Städte unterscheiden sich stark sowohl was die Gewaltraten, die Dichte zivilgesellschaftlicher Organisationen und das Ausmaß an politischer Beteiligung angeht als auch hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Bevölkerung und ihrer historischen Bedeutung für die südafrikanische Geschichte.

Da die besondere Situation Südafrikas durchaus auf andere Staaten anwendbar ist, kann die Analyse der engen Beziehungen zwischen öffentlicher Verwaltung und menschlicher Sicherheit auch in einem breiteren Zusammenhang zu einem besseren Verständnis für die Entwicklung von Demokratie beitragen. Die geplante Studie verspricht daher auch neue Einsichten in den teilweise seltsam anmutenden Stillstand von Zivilgesellschaften in jungen Demokratien angesichts vielfacher sozialer Missstände und ausufernder Möglichkeiten für persönliches Engagement.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsvorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums und die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Dieses Projekt wurde im April 2014 dokumentiert.