Dokumentation zu diesem Projekt

Die Bildsteine Gotlands – Probleme und neue Wege ihrer Dokumentation, Lesung und Deutung

Einführung

Im Mittelpunkt des Forschungsvorhabens von Dr. Sigmund Oehrl stehen die Bildsteine auf der schwedischen Ostseeinsel Gotland. Die oft übermannshohen Gedenksteine entstanden in der Zeit von der Völkerwanderung bis in die späte Wikingerzeit (etwa 400 bis 1100 n. Chr.). Sie sind mit einer Vielzahl von eingemeißelten Figuren versehen, die einen einzigartigen Einblick in die religiöse Ideenwelt der spätantiken und frühmittelalterlichen Kultur des Nordens gewähren. Bei den gotländischen Bildsteinen handelt es sich um eine einmalige archäologische Denkmälergruppe, die in dieser Form sonst nirgendwo in von Germanen besiedelten Gebieten auftritt. In einer weitgehend schriftlosen Zeit entstanden, sind sie authentische Zeugnisse einer sonst kaum greifbaren heidnischen Geisteswelt und stellen für die germanische Religionsgeschichte, Mythologie und Heldensage eine Quelle von unschätzbarem Wert dar. Die Interpretation der eingeritzten Bilddarstellungen ist insbesondere auf der Basis späterer altnordischer Schriftquellen möglich, was die Steine zu einem Forschungsfeld sowohl der Archäologie als auch der Altnordistik macht.

Bedingt durch die starke Verwitterung sind die eingeritzten oder im primitiven Flachrelief ausgeführten Bilder auf den Gedenksteinen meist nur sehr schlecht erkennbar. Die immer noch grundlegende Edition der Steine von Sune Lindqvist aus den Jahren 1941 / 42 ist technisch veraltet und umfasst lediglich 280 der 467 heute bekannten Bildsteine bzw. Bildsteinfragmente. Damals wurden die bildtragenden Oberflächen mit einer Lampe ausgeleuchtet und die auf diese Weise erkennbaren Darstellungen mit schwarzer Farbe markiert und abphotographiert. Häufig war dabei für Lindqvist nicht sicher zu entscheiden, ob es sich bei den durch die Schrägbeleuchtung entstehenden Schatten um Bildkonturen oder um natürliche Unregelmäßigkeiten bzw. spätere Beschädigungen handelte, und die in der Edition zur Verfügung stehenden Bilder spiegeln infolgedessen die subjektive Sichtweise eines einzelnen Betrachters.

Im Rahmen des Projekts wird nun unter Anwendung moderner archäologischer Methoden und Techniken (Archäoinformatik bzw. Digitale Archäologie) eine Basis für neue Autopsien und Dokumentationen geschaffen. Mit Hilfe der Reflectance Transformation Imaging (RTI-Methode sowie dem Photogrammetrie-Verfahren (3D-Digitalisierung) hat Dr. Oehrl bereits einen großen Teil der gotländischen Bildsteine untersucht und dokumentiert, und erste beispielhafte Untersuchungen führen zu gänzlich neuen Interpretationsgrundlagen und Deutungen. Ziel ist es, die gewonnenen Daten (etwa 30.000 Photos) mit unterschiedlichen Software-Lösungen zu bearbeiten, 3D-Modelle der Bildsteine zu erstellen und diese mit Blick auf eine kritische Überprüfung der bisherigen Dokumentation und Lesungsvorschläge auszuwerten sowie nach bislang unerkannten, für die Bilddeutung potentiell wichtigen Details zu suchen. In einem zweiten Arbeitsschritt führt Dr. Oehrl ikonographische Studien durch und erarbeitet neue Deutungsperspektiven für alle Bildsteingruppen vom vierten Jahrhundert bis in die Spätwikingerzeit. Leitfragen betreffen das Verhältnis zu den hochmittelalterlichen Schriftquellen sowie die Beziehungen zur spätantiken / frühmittelalterlichen Ikonographie
des Kontinents. Die Ergebnisse des Projekts sollen in eine Monographie über die gotländischen Bildsteine und ihre Deutungsprobleme eingehen und an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift eingereicht werden. 

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Dieses Projekt wurde im April 2015 dokumentiert.