Dokumentation zu diesem Projekt

Aneignungen der Welt? Kolonialismus, technische Erschließung und archäologische Erforschung: Franzosen, Briten und Deutsche im zerfallenden Osmanischen Reich (1798–1932)

Einführung

Das Forschungsvorhaben ist Akteuren und Projekten auf der Spur, die bei der technischen Erschließung und der archäologischen Erforschung kolonialer Räume mitarbeiteten. Im Zentrum der Untersuchung steht, wie Deutsche, Franzosen und Briten im zerfallenden Osmanischen Reich zwischen 1798 und 1932 reisten und ihre persönlichen Karrieren vorantrieben, welche praktischen und theoretischen Wissensbestände sie dabei nutzten und entwickelten und wie das von ihnen produzierte Wissen, mitsamt Bildern und Artefakten, Teil einer populären europäischen Kolonialkultur sowie staatlicher Herrschafts- und Repräsentationsbemühungen wurde.

Die Verhältnisse von Technik und Archäologie sind dabei enger, als dies möglicherweise auf den ersten Blick erscheint. Zunächst gibt es eine Reihe biographischer Überschneidungen, wie sie sich beispielsweise bei Carl Humann (1839-1896), dem Entdecker des Pergamonaltars, finden lassen. Humann war fast ein Jahrzehnt als Ingenieur im Dienst des Sultans tätig, bevor er einer der zentralen Akteure der deutschen Archäologie wurde. Auch viele praktische Wissensbestände sind deckungsgleich: Landvermessung und Kartenzeichnung, die Organisation oftmals vieler hundert einheimischer Erdarbeiter oder die Bewegung schwerer Lasten. Durch Fotografie im 19. oder die Luftbildarchäologie im frühen 20. Jahrhundert wurden auch neuste Techniken als Werkzeuge für archäologische Fragestellungen erprobt. Schließlich standen die Schriften und Bilder, die in Reiseberichten oder Ausstellungen und Museumsbauten verbreitet wurden, im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit außereuropäischen Räumen, deren Geschichte und Bewohner. Untrennbar mit diesem neuen Wissen über die Welt verbunden waren Vorstellungen kultureller Überlegenheit und Ansprüche auf politische Herrschaft, welche koloniale Wissenschaft und Technik gleichermaßen kennzeichneten.

Dabei gilt es, zeitlich und räumlich zu differenzieren. Im Verlauf des Untersuchungszeitraums etablierten sich die Archäologie wie auch die Ingenieurswissenschaften institutionell aber auch habituell als eigenständige Disziplinen. Etwa mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Archäologie eine Wissenschaft, die nicht mehr jedem bürgerlichen Reisenden als Betätigungsfeld offenstand. Hier gilt es zu klären, welche Rolle die praktischen Wissensbestände und die konkreten Entwicklungen vor Ort bei diesen Prozessen der Disziplinengenese spielten. Zugleich beschritten die drei untersuchten europäischen Mächte jeweils eigene Wege in ihrer Kolonialpolitik. Während für den französischen Imperialismus die zentrale Rolle staatlicher Akteure kennzeichnend war, waren in Großbritannien private oder „halbstaatliche“ Initiativen wichtiger. Für das spät auf der imperialen Bühne auftretende Deutsche Reich werden Technik und Wissenschaft schließlich zu einem Surrogat für den Erwerb von Kolonien am Mittelmeer und im Nahe Osten.

Das Ziel der Arbeit ist es somit, mit einem kulturhistorischen Beitrag zur Rolle von Technik und Archäologie für den europäischen Kolonialismus neue Perspektiven für die historische Forschung zu eröffnen. Baustellen und Grabungen werden als Orte einer Mikrogeschichte des Imperialismus verstanden, auf denen konkrete Interaktionen von Europäern und Einheimischen untersuchbar werden. So wird die Berücksichtigung postkolonialer Perspektiven möglich, die etwa betonen, dass die Handlungsmacht nicht bei den Europäern allein lag, sondern dass „die Kolonialisierten“ ebenfalls zentrale Akteure waren. Die Betonung des Nebeneinanders von Technik und Archäologie zielt darauf ab, aus der Tradition zu eng gefasster Disziplinengeschichten auszubrechen. Statt von heute institutionalisierten Wissensbereichen auszugehen, werden die konkreten Praktiken und Karrieremöglichkeiten europäischer Reisender untersucht, die im Untersuchungszeitraum von großer räumlicher, sozialer und beruflicher Mobilität gekennzeichnet waren.

Diese Lebensgeschichten, mit ihren beruflichen und wissenschaftlichen Erfolgen und Rückschlägen, mögen abenteuerlich gewesen sein, sicher ist, dass sie als Abenteuer gegenüber der europäischen Öffentlichkeit inszeniert wurden. Neben meist orientalistischen Stilformen, die Einheimische zu Klischees verkürzten, die dann als Folie zur Inszenierung europäischer und nationaler Überlegenheit dienten, finden sich auch vereinzelt andere Schilderungen, bei denen die Begegnung mit der außereuropäischen Welt in ambivalenteren Selbst- und Fremdbildern mündete. Die öffentlichen Repräsentationen etwa im Louvre, dem British Museum, dem Pergamonmuseum oder auf Kolonialausstellungen, überdeckten solche Ambivalenzen. Im Zentrum steht so auch die Frage, wie der Glaube an den wissenschaftlichen Fortschritt und die technische Weltbeherrschung sowie die politischen Projekte zur Aneignung der außereuropäischen Welt damit umgingen, dass sie mit den Überresten ehemaliger Hochkulturen ebenso konfrontiert wurden, wie mit dem wiederholten Ausfall von Technik und dem vollständigen oder teilweisen Scheitern imperialer Ambitionen.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums und die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Stipendiat

Dr. Eike-Christian Heine, Stuttgart / TU Braunschweig

Bildnachweise

Abb. 1: Austen Henry Layard: Nineveh and its Remains, Bd. 1, London 1849

Abb. 2: Robert Koldewey: Das Ischtar-Tor in Babylon. Nach den Ausgrabungen durch die Deutsche Orient-Gesellschaft, Leipzig 1918.

Abb. 3: Charles Thomas Newton, A history of the discoveries at Harlicarnassis, Cindus and Branchidae, 3 Bände, London 1862, Band 1, Plate LXI.

Abb. 4: Flinders Petrie: Methods and Aims in Archaeology, London 1904, Fig. 1. 

Abb. 5: Flinders Petrie: Methods and Aims in Archaeology, London 1904, Fig. 15.

Dieses Projekt wurde im März 2017 dokumentiert.