Dokumentation zu diesem Projekt

Monumente der Aufklärung. Die Grab- und Denkmäler von Jean-Baptiste Pigalle (1714–1785) zwischen Konvention und Erneuerung

Einführung

Jean-Baptiste Pigalle (1714–1785) galt bereits zu Lebzeiten als einer der wichtigsten Vertreter der französischen Bildhauerkunst im 18. Jahrhundert. Mit seinen radikal innovativen Konzepten reagierte er auf zeitgenössische Forderungen und schockierte dabei die Betrachter. Von seinen Monumenten sind heute noch vier erhalten: Das Grabmonument für Marschall Moritz von Sachsen in Straßburg, das Denkmal für Ludwig XV. in Reims, die im Pariser Louvre zu sehende Statue des nackten Voltaire und das Grabmal für den Comte d’ Harcourt in der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Dr. Eva Hausdorf, Berlin, hat im Rahmen ihrer Dissertation auf der Grundlage bislang  unbeachtet gebliebenen Quellenmaterials das Werk Pigalles mit Blick auf Auftragslage, Genese und Rezeption in detaillierten Einzelstudien untersucht. Im Mittelpunkt standen dabei die vor dem Hintergrund zeitgenössischer Konventionen des Denkmals von Pigalle verfolgten Umdeutungen, Brüche und künstlerischen Neuerungen.

In dem politisch bedeutsamen, vom König bestellten Grabmonument für Marschall Moritz von Sachsen (1753–1777) ließ Pigalle durch die aufwändig inszenierte Apotheose des gefeierten Nationalhelden die eigentliche Funktion als Grabmal in den Hintergrund treten. Das Monument weist den Charakter eines Ehrenmals auf, nimmt innerhalb der zeitgenössischen Sepulkralkunst eine Sonderstellung ein und reflektiert zugleich den im Laufe des Jahrhunderts lauter werdenden Ruf nach einer öffentlichen Ehrung verdienter Zeitgenossen. In der raumgreifenden Monumentalität der Anlage und der starken emotionalen Bewegtheit der miteinander in narrativer Einheit verbundenen Figuren ist das Grabmal für Moritz von Sachsen gleichermaßen künstlerischer Höhepunkt der spätbarocken Sepulkraltradition wie politisches Denkmal.

In seinen Figuren der »milden Regierung« und des »glücklichen Bürgers« vom Denkmal für Ludwig XV. im Reims (1755–1765) entwarf Pigalle eine formale und ideelle Erneuerung der zu dieser Zeit in die Kritik geratenen Tradition, die militärische Macht des Monarchen durch gefesselte Sklaven zu repräsentieren. Die neuen Allegorien verkörpern eine auf das Wohl der Bevölkerung bedachte Regierung sowie, dadurch bedingt, den Wohlstand des Volkes. Pigalle setzte das Bild eines verantwortungsbewussten und friedlichen Herrschers um, das zuvor unter anderem von Voltaire in Ablehnung eines als martialisch inszenierten Monarchenbildes gefordert worden war. Dass Pigalle der monumentalen Aktstatue des Citoyen zugleich Züge eines Selbstbildnisses verlieh, zeigt seine bewusste Entscheidung für eine gezielte Nachahmung der Natur.

Radikaler noch setzte der Bildhauer seine Idee von künstlerischer Genialität in der im Auftrag der Gemeinschaft der gens de lettres gefertigten skandalträchtigen Statue des greisen, nackten Voltaire (1770–1776) um. In Anknüpfung an die zeitgenössische Vorstellung vom Genie, das gegen  gesellschaftliche Normen und Geschmackskonventionen verstoßen musste, um Neues schaffen zu können, feierte Pigalle Voltaire zum einen als Genius, der mit seinen vielfältigen Talenten jenseits der Gesellschaft stand und im Porträt daher auch nicht konventionell dargestellt werden durfte. Zum anderen plädierte er mit diesem umstrittenen Statuenkonzept für seinen eigenen Status als genial schaffender Künstler, der sich nicht um Fragen des decorum kümmern musste. Der ungeschönte Verismus des Voltaire nu ist das Produkt einer konsequenten Entwicklung, in der sich Pigalle als selbstbestimmt arbeitender Künstler behaupten wollte, der gegen etablierte künstlerische Neigungen und gegen die Regeln des Geschmacks die Naturwahrheit der Dinge unmittelbar zur Darstellung brachte.

Das Grabmal für den Comte d’Harcourt (1771–1776) zeigt paradigmatisch die schleichende Auflösung der konventionellen christlichen Inhalte und ihrer Ikonographie, die durch säkularisierte, von der Aufklärung geprägte Ideen ersetzt wurden. Pigalle brachte in diesem privaten Auftrag nochmals die für sein Schaffen zentralen Aspekte der veristischen  Naturnachahmung und der Konzentration auf die menschliche Figur zum Ausdruck: Der emotionalen und überaus lebendigen Witwe stellte er den Comte als lebendigen Leichnam in einem Zustand zwischen Tod und Auferstehung gegenüber.

In der vergleichenden Betrachtung der vier Monumente Jean-Baptiste Pigalles erschließen sich ganz unterschiedliche Aspekte, die sowohl das künstlerische Schaffen des Bildhauers als auch den Konflikt zwischen der Vorstellung vom autonomen Künstler, den oft divergierenden Erwartungen der Auftraggeber und der kritischen Öffentlichkeit beleuchten. Pigalle erweist sich als selbstbewusster Bildhauer, der die künstlerischen Traditionen Frankreichs und Italiens zwar genau kannte, aber bereit war, sie immer dann zu hinterfragen, wenn Ausdruck und Anschaulichkeit der Darstellung es zu fordern schienen. Konventionelle Motive deutete er um, öffnete sie neuen Bedeutungskontexten und sprengte dadurch Gattungsgrenzen. Sein Werk ist Zeugnis einer intensiven Auseinandersetzung mit den Forderungen einer zunehmend aufgeklärten Gesellschaft nach einer verständlichen Bildsprache, die den Menschen und seine Welterfahrung ins Zentrum setzen sollte.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützte das Dissertationsvorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten und stellte einen Druckkostenzuschuss für die Veröffentlichung der Dissertation zur Verfügung.

Publikation

Eva Hausdorf, Monumente der Aufklärung. Die Grabund Denkmäler von Jean-Baptiste Pigalle (1714–1785) zwischen Konvention und Erneuerung, Berlin 2012 (= Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 25)

Dieses Projekt wurde im März 2013 dokumentiert.