Dokumentation zu diesem Projekt

Bewahrung und Weitergabe kollektiver Erinnerung in Afrika: Afrikanische Zeitzeugenberichte und mündliche Literatur in der frühkolonialen Geschichte am Beispiel Kameruns

Einführung

Das in Zentralafrika gelegene Kamerun war nach der Berliner Konferenz 1884/1885 bis 1916 eine Kolonie des Deutschen Reiches und wurde nach dem Ersten Weltkrieg als Mandat des Völkerbunds zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. Der französische Teil erreichte 1960 die Unabhängigkeit und rief den heutigen Staat Kamerun aus. Im britischen Verwaltungsgebiet fand 1961 eine Volksabstimmung statt, nach der sich der nördliche Teil Nigeria, der südliche Kamerun anschloss. Amtssprachen Kameruns sind Englisch und Französisch, im Land werden darüber hinaus um die 240 afrikanische Sprachen gesprochen. Ein großes Problem sowohl für die afrikanische und internationale Forschung als auch für die afrikanische Erinnerungskultur besteht darin, dass in der Regel auf Archivquellen und Literatur zurückgegriffen wird, die seit Beginn der kolonialen Periode von Vertretern der europäischen Staaten in europäischen Sprachen verfasst wurden. Die Sichtweise der afrikanischen Protagonisten fehlt in dieser Dokumentation eines wesentlichen Teils der afrikanischen Geschichte, und auch nach der Unabhängigkeit gab es wenige Bemühungen, diese Lücke zu schließen. Originär afrikanische Quellen in afrikanischen Sprachen zu Sklaverei und Kolonialisierung sind daher kaum bekannt.

In den Jahren 1980 bis 1986 bereiste eine Gruppe Wissenschaftler der Universität Yaoundé I unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Prince Kum’a Ndumbe III. alle zehn Regionen Kameruns und machte Frauen und Männer ausfindig, die die Entstehung des modernen Kamerun zur Zeit der Kolonisierung durch das Deutsche Reich miterlebt hatten. Die Wissenschaftler führten 176 Interviews sowohl mit den hochbetagten Zeitzeugen als auch mit deren direkten Nachfahren. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts »Recollections of the German Period in Cameroon« wurden während eines internationalen Kolloquiums anlässlich des 100. Jahrestags der Kolonisierung Kameruns im April 1985 in Yaoundé vorgestellt. An der Veranstaltung nahmen neben Wissenschaftlern aus 15 afrikanischen und europäischen Ländern sowie den Botschaftern der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik auch einige der für das Projekt interviewten Zeitzeugen teil.

Die über 120 Kassetten mit Interviews in unterschiedlichen kamerunischen Sprachen umfassende Sammlung wird seither in den Räumen der Fondation AfricAvenir International in Douala verwahrt. Da Mittel für eine sichere Aufbewahrung der Audio-Kassetten sowie eine Digitalisierung des Materials fehlten, drohten die Stimmen der alten Kameruner verloren zu gehen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Prince Kum’a Ndumbe III. werden die Kassetten in einer Kooperation mit dem Phonogrammarchiv an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien digitalisiert. Mitarbeiter in Douala übernehmen die Transkription der Interviews und die Übersetzung ins Deutsche, Englische und Französische. Zum Quellenbestand der Fondation AfricAvenir International zählen darüber hinaus eine Sammlung von Handschriften aus der Zeit von 1920 bis 1930 mit Texten über Politik, Religion und Kultur in kamerunischen Sprachen sowie ein Korpus von 300 seltenen Büchern europäischer Autoren aus den Jahren 1848 bis 1944. Die in der Bibliothek Cheikh Anta Diop in Douala aufbewahrten, für Kamerun einzigartigen Quellen sind aktuell von Feuchtigkeit und Zerfall bedroht. Ziel ist es, den umfangreichen Bestand an Audio-Interviews, Handschriften und Büchern zu restaurieren und zu digitalisieren und ihn für die Forschung zugänglich zu machen. Vier kamerunische Doktorandinnen und Doktoranden haben im Rahmen des Forschungsprojekts bereits damit begonnen, die Teile der Quellenbestände für ihre Dissertationsprojekte zu unterschiedlichen Bereichen der kamerunischen Geschichte und Rechtsgeschichte auszuwerten. Die kamerunische Forschergruppe kooperiert mit Afrika-Wissenschaftlern in Deutschland, Frankreich und Österreich. Der Aufbau eines Netzwerks mit den Vertretern ähnlicher Projekte in anderen Staaten Afrikas soll darüber hinaus dazu beitragen, das Bewusstsein für die afrikanische Perspektive auf die Geschichte des eigenen Kontinents sowohl in der Öffentlichkeit als auch der lokalen und internationalen Wissenschaftsgemeinde zu schärfen.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung von Fördermitteln zur Übernahme von Personal-, Reise- und Sachkosten.

Projektleitung

Prof. Dr. Dr. Prince Kum’a Ndumbe III.
Fondation AfricAvenir International, Douala

Dieses Projekt wurde im März 2016 dokumentiert.