Dokumentation zu diesem Projekt

The Wardian Case: An Environmental History

Einführung

Der Arzt und Amateur-Naturforscher Nathanial Bagshaw Ward (1791–1868) entdeckte 1829 durch Zufall, dass Pflanzen in luftdicht verschlossenen Glaskästen längere Perioden überstehen, ohne gegossen zu werden. Ursprünglich für den Schutz von Wards Sammlung von Farnen vor der verschmutzten Londoner Luft entwickelt, wurde der nach seinem Erfinder benannte Wardian Case im 19. Jahrhundert Bestandteil vieler mittelständischer und wohlhabender Haushalte im viktorianischen England. 1833 entschied sich Ward für einen Test seiner Erfindung und schickte zwei mit Farnen, Moosen und Gräsern gefüllte Kästen per Schiff von London nach Sydney. Die Pflanzen erreichten ihr Ziel im November des Jahres unversehrt, und im Februar 1834 trat eine Auswahl australischer Arten erfolgreich die achtmonatige Rückreise nach Großbritannien an.

Das enorme Potential des Wardian Case für den sicheren Transport von Pflanzen aus den entferntesten Regionen der Welt wurde zunehmend bekannt und veränderte den globalen Umgang mit der Natur auf signifikante Weise. Die britische und die französische Regierung verfügten den Einsatz von Wardian Cases in allen von ihnen finanzierten Expeditionen, und die Horticultural Society of England war Vorreiter des extensiven Einsatzes der Kästen: 1848 wurden bei einer britischen Expedition nach China im Rahmen eines der bedeutendsten Fälle botanischer Spionage 20.000 Teepflanzen nach Indien transferiert und begründeten dort mit den Plantagen von Assam und Sikkim die indische Tee-Industrie. Weitere Beispiele für den industriellen Aufstieg der Zielregion von Pflanzentransporten waren der geheime Transport von Chinarinden-Bäumen durch Briten und Niederländer von Bolivien nach Java und Indien, der Transfer von Kautschuk-Bäumen von Südamerika über die Londoner Kew Gardens nach Malaysia und Ceylon sowie die Versetzung von Zwergbananenstauden aus China über die Chatsworth Gardens auf die Samoa-Inseln und deren gesamte Umgebung. Auch die Berliner Botanischen Gärten transportierten Schätzungen zufolge zwischen 1891 und 1907 über 16.000 Pflanzen, darunter Kaffeepflanzen, Ölpalmen, Kakao-, Gummi- und Bananenbäume. Erst in den 1940er Jahren ließ die Nutzung von Wardian Cases nach, und nach 1960 wurden die Glaskästen durch Taschen aus Polyäthylen und den schnellen, konstante Temperaturen bietenden Lufttransport ersetzt. Weltweit sind heute nur noch vier original erhaltene Wardian Cases bekannt: Sie befinden sich im Berliner Botanischen Garten, in den Kew Gardens, den Smithsonian Gardens, Washington, und im südenglischen Tregothnan Estate.

Dr. Luke Keogh untersucht im Rahmen seines Forschungsvorhabens erstmals systematisch die ein Jahrhundert andauernden Wanderbewegungen von Pflanzen in Wardian Cases und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Handel, Industrie und Umwelt. Im Mittelpunkt stehen zum einen Fragen nach dem Ausmaß der Transporte und den Wegen, die die Pflanzen nahmen. Zum anderen möchte Dr. Keogh die Nutzung des Wardian Case durch britische und deutsche Wissenschaftler vergleichend untersuchen und dabei überprüfen, inwiefern lokales Wissen und unterschiedliche globale Kontakte die Transporte beeinflussten. Als Grundlage für die geplante Studie dienen Archive in Berlin und London als Knotenpunkte des zeitgenössischen europäischen Netzwerkes sowie in Singapur als Standort eines der erfolgreichsten kolonialen botanischen Gärten. Das Forschungsprojekt verspricht neues Licht auf ein bislang kaum erforschtes Objekt der Umweltgeschichte zu werfen, das im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine der größten vom Menschen beeinflusste globale Migrationsbewegung von Pflanzen ermöglichte. Die Geschichte des Wardian Case fügt darüber hinaus aktuellen Diskussionen über die Folgen menschlichen Eingreifens in ökologische Systeme eine wichtige historische Perspektive hinzu.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Dieses Projekt wurde im April 2015 dokumentiert.