Dokumentation zu diesem Projekt

Das hellenistische Morgantina, Sizilien. Ausgrabung des Süd-Bades und des West-Heiligtums der Demeter und Persephone

Einführung

Morgantina auf Sizilien zählt aufgrund des Umfangs, des Erhaltungszustandes und der Qualität der archäologischen Befunde zu den wichtigsten hellenistischen Städten im Mittelmeer und bietet ähnlich ideale Bedingungen für detaillierte und synthetische Fragestellungen zur Erforschung hellenistischer Poleis wie etwa Delos, Pergamon und Solunt. Morgantina wurde ab dem mittleren fünften Jahrhundert v. Chr. von einer gemischten Bevölkerung aus Griechen und indigenen Sikulern besiedelt, die bereits einen orthogonalen Stadtplan anlegten. Der Großteil der archäologischen Funde wird jedoch in die Blütezeit der Stadt im dritten Jahrhundert v. Chr. datiert. Dazu zählen vor allem eine im Zentrum der Stadt gelegene, ungewöhnlich große Agora mit politisch-administrativen, kommerziellen und sakralen Bauten sowie benachbarte Wohnquartiere. Nachdem die Römer Morgantina im Jahr 211 v. Chr. erobert und dort spanische Söldner angesiedelt hatten, setzte ein langsamer Niedergang ein, der mit der völligen Auflassung der Stadt im ersten Jahrhundert n. Chr. endete.

Seit 1955 haben die American Excavations at Morgantina (AEM) große Areale der prähistorischen und archaischen Siedlung (Cittadella Hügel) sowie der klassisch-hellenistischen Stadt (Serra Orlando Plateau) freigelegt. Die Bedeutung Morgantinas bestätigte sich, als sich der Fokus der Grabungen im Jahre 2003 vom Zentrum der klassisch-hellenistischen Stadt in das Contrada Agnese Areal an der westlichen Peripherie verlagerte, das in der Antike ein abgegrenztes Viertel am Rande der bebauten Stadt gebildet haben könnte. Das hier von Dr. Sandra K. Lucore (AEM) in den Jahren 2003 bis 2011 vollständig freigelegte Nord-Bad ist derzeit das am besten erhaltene, technisch innovativste und am reichsten ausgestattete öffentliche Bad in der griechischen Welt und hat die Erforschung griechischer Bäder und auch der Architektur im Allgemeinen maßgeblich vorangebracht. Testschnitte haben Teile eines großen (möglicherweise öffentlichen) Gebäudes, eines zweiten öffentlichen Bades (Süd-Bad), eines benachbarten Heiligtums (West-Heiligtum der Demeter und Persephone) sowie des Straßennetzes ans Licht gebracht. Obwohl für verschiedene Städte im Mittelmeerraum die Existenz mehrerer griechischer öffentlicher Bäder nachzuweisen ist, sind diese Bauten gewöhnlich gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilt und liegen nicht so nahe beieinander wie in Morgantina. Ferner wurden derartige Bäder an der Peripherie großer extraurbaner oder auch in der Nähe innerstädtischer Heiligtümer errichtet, nie jedoch direkt neben und folglich potentiell eng verbunden mit einem Heiligtum wie in Contrada Agnese. Die Funktion derartiger »Heiligtums-Bäder« und ihre potentielle Nutzung für rituell-reinigende und therapeutische Zwecke sind in der Forschung bislang umstritten. Obwohl Morgantina eines der wichtigsten und umfassendsten Corpora von Heiligtümern für Demeter und Persephone in der griechischen Welt bietet, ist bislang keines der acht Heiligtümer vollständig erforscht und publiziert worden.

Ziel eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Dr. Sandra K. Lucore und Prof. Dr. Monika Trümper ist die Freilegung des Süd-Bades und des benachbarten West-Heiligtums der Demeter und Persephone. Dabei sollen zum einen die urbane Entwicklung, Signifikanz und Funktion eines außergewöhnlichen Stadtviertels am Rande der bebauten Stadt untersucht werden, in dem sich evtl. Bauten für Training und Pflege des Körpers konzentrierten. Zum anderen sollen Geschichte, Plan und Funktion der beiden Bauten und ihr Verhältnis untereinander analysiert und rekonstruiert werden. Die Ausgrabungen in Morgantina versprechen einen zentralen Beitrag zur Erforschung griechischer Bäder und zur Sakraltopographie hellenistischer Städte zu leisten.

In der Kampagne 2014 konnte das Süd-Bad vollständig freigelegt werden. Es weist 14 Räume und ein hochmodernes Badeprogramm mit zwei gänzlich separaten Sektionen auf, das für öffentliche griechische Bäder in Sizilien und Unteritalien um 250 v. Chr. verbindlich wurde: eine Tholos mit Sitzbadewannen für warme reinigende Duschbäder sowie einen Trakt für entspannenden kollektiven Badegenuss in einer beheizten Tauchwanne. Das funktionale Zentrum bildete der langrechteckige Badeofen, der im Süd-Bad hervorragend erhalten ist und Funktion und Aufbau dieser für westgriechische Bäder typischen, hochinnovativen Öfen weitgehend rekonstruieren lässt: erhalten sind Plattformen für vier runde (wohl metallene) Behälter, in denen über einem System aus Heizkanälen Wasser für die Sitzbadewannen und für die kollektive Tauchwanne erhitzt wurde. Ein Serviceraum im Westen gewährte Zugang zum Wasserreservoir sowie den Heizöffnungen des Badeofens und des Hypokaustkanals. Eine Serie von unabhängigen Räumen, die vermutlich als Läden und Werkstätten separat genutzt und profitabel vermietet werden konnten, umgab die Baderäume im Osten und Norden. Das Süd-Bad wurde vermutlich zeitgleich mit dem Nord-Bad in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. errichtet und bis ins Jahr 211 v. Chr. als Bad genutzt. In dem benachbarten Heiligtum wurden neun Räume sicher identifiziert. Diverse, möglicherweise für Kulthandlungen vorgesehene, Strukturen und Funde (Terrakottastatuetten, Lampen) sowie der ungewöhnliche Plan der Anlage erhärten die Identifizierung des Komplexes als Heiligtum. Eine Verbindung zum Süd-Bad, das wahrscheinlich nach dem Heiligtum errichtet wurde, konnte bislang nicht festgestellt werden.

Die für 2015 geplante Kampagne hat die vollständige Freilegung des Heiligtums und die umfassende Auswertung aller Befunde und Funde sowie die Kontextualisierung von Heiligtum und Süd-Bad im Contrada Agnese-Viertel zum Ziel.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung von Fördermitteln zur Übernahme von Kosten für zwei Grabungskampagnen in Morgantina in den Jahren 2014 und 2015.

Dieses Projekt wurde im April 2015 dokumentiert.