Dokumentation zu diesem Projekt

Local debates and trans-regional exchange among producers, purveyors and users of recordings of Swahili-language Muslim sermons and disputations from Kenya, Tanzania and Uganda

Einführung

Die Präsenz des Islam in Ostafrika hat eine lange Geschichte. Im Norden der Swahiliküste und in Somalia geht sie vermutlich auf das erste islamische Jahrhundert zurück, weiter südlich ist der Islam spätestens seit dem 12. (christlichen) Jahrhundert nachzuweisen. Dennoch blieben islamische Religionsgemeinschaften in Ostafrika im engeren Sinne (den modernen Staaten Uganda, Kenia und Tansania) bis zum späten 19. Jahrhundert auf die Küstenstädte und Inseln beschränkt. Im 20. Jahrhundert dehnte sich der Islam vor allem in Tansania, stellenweise aber auch in Uganda und Kenia, weit ins Landesinnere aus. Dadurch entstanden diverse muslimische Gemeinschaften, in denen »mystische« Sufi-Traditionen ebenso vertreten sind wie eine alte Tradition islamischer Gelehrsamkeit und deren gesellschaftliche Bandbreite von einfachen Bauern bis zu Abkömmlingen städtischer Patriziergeschlechter reicht. Seit den 1980er Jahren gibt es auch salafistisch inspirierte Reformbestrebungen mit gelegentlichen politischen Obertönen.

In der »neuen Welle« des islamischen Aktivismus, die sich seit den 1970er Jahren in vielen Ländern ausgebreitet hat, spielte der Einsatz von Medien von Beginn an eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren ist insbesondere die Nutzung des Internets durch islamische Aktivisten ins Blickfeld gerückt, doch auch schon früher verwendeten diese neben schriftlichen Pamphleten das Radio und vor allem einfach herzustellende Kassettenaufnahmen von Freitagspredigten. In jüngster Zeit sind sie zu digitalen Formaten, vor allem DVDs und YouTube-Videos, übergegangen. Dr. Felicitas Becker beschäftigt sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit den islamischen Predigern in Ostafrika. Ausgehend von der bereits vorliegenden Forschungsliteratur zur Nutzung von Medien in der islamischen Welt im Allgemeinen und der Verbreitung von Predigten im Besonderen, die sich zum großen Teil auf die arabischsprachigen Länder konzentriert, möchte sie den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf die Swahili sprechenden Muslime richten, die in Ostafrika die Mehrheit stellen. Zudem plant sie, die in der Literatur zu diesem Phänomen vorherrschende Konzentration auf die soziale Rolle der Predigten um eine detaillierte Untersuchung der Predigten als Texte zu ergänzen. Dazu möchte sie einerseits Predigten transkribieren und ihre Inhalte in den Kontext der Geschichte des Islam in Ostafrika setzen und andererseits Kontakt zu Produzenten, Händlern, Vortragenden sowie Zuschauerinnen und Zuschauern dieser Predigten aufnehmen, um durch Interviews und Gruppendiskussionen die Absichten, den Bildungshintergrund und die Karrieren der Prediger sowie die Verbreitung und Rezeption ihrer »Produkte« besser einordnen zu können. Im postkolonialen Ostafrika ist die Geschichte islamischer Gemeinschaften besonders geprägt von deren relativer Staatsferne. Da die höhere Schulbildung unter den britischen Kolonialregimes lange an die Aktivitäten von christlichen Missionaren gekoppelt war, sind Muslime in Sekundarschulen, Universitäten und allen Institutionen, die Absolventen der Universitäten rekrutieren (insbesondere der höheren Verwaltung), unterrepräsentiert. Dennoch ist das Zusammenleben von Muslimen und Christen in Ostafrika ganz überwiegend friedlich. Beide Religionen kommen in den gleichen Familien vor, kollegiale und freundschaftliche Beziehungen über die Religionsgrenzen hinweg sind alltäglich. Dr. Becker möchte daher der Frage nachgehen, wie sich diese Situation in den Predigt-Aufnahmen widerspiegelt. Obwohl sich viele Prediger gegenseitig kennen und der Markt für Predigten von einer kaum ein halbes Dutzend Prediger umfassenden Kerngruppe bestimmt wird, sprechen diese nicht mit einer Stimme. Ihre Themen reichen von den Rechten der Frau in islamischen Ehen über Kommentare zur AIDS-Epidemie in der Region bis zu gelegentlichen politischen Stellungnahmen gegen eine »Verwestlichung«. Zu den wichtigsten Themen zählen auch die Geschichte des Korans und die Gefahren, die Verstorbene (nach alter Überlieferung) im Grab erwarten. Diese Inhalte zeigen neben Beispielen eines Gedankenaustausches mit reformorientierten Aktivisten aus dem Nahen Osten auch den Einfluss ganz traditioneller Gelehrsamkeit sowie des indigenen kulturellen Erbes. Muslime, so ein weit verbreiteter Topos der Predigten, können ihre Situation verbessern, indem sie sich auf ihre Religion besinnen – und damit ist in erster Linie eine persönliche Neuorientierung gemeint, nicht ein politisches Programm.

Die Predigten erlauben es darüber hinaus, eine Fallstudie zu einem kontrovers betrachteten Phänomen zu erstellen: der Beteiligung von Frauen an Reformbewegungen, deren Ziele auf den ersten Blick als den Bedürfnissen und Hoffnungen vieler Frauen entgegengesetzt erscheinen. Ein Vergleich zwischen den (raren) Predigten von Frauen und denen von Männern über Frauen legt nahe, dass ein gewisser männlicher Eifer, die moralische Schwäche von Frauen zu betonen, von dem Streben nach sozialer Kontrolle über Frauen nicht zu trennen ist. Die ganz und gar nicht lineare Beziehung zwischen den Inhalten von Predigten über Frauen, und der Lebenshaltung und -praxis der Zuhörer und Zuhörerinnen legt nahe, dass es sich bei den Predigten um eine »uneigentliche« Form der Sprache (coded language) handelt, deren Relevanz stark von Vorgeschichte und Lebenssituation abhängt. Die Ergebnisse des Projekts werden sowohl Eingang in eine Monographie zur Verbreitung islamischer Predigten in Ostafrika finden als auch in eine Internetseite, die ausgewählte Predigten in kommentierter Form und in englischer Übersetzung zur Verfügung stellen wird.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung von Fördermitteln zur Übernahme von Personal- und Reisekosten.

Projektleitung

Dr. Felicitas Becker
University of Cambridge, Faculty of History

Dieses Projekt wurde im März 2013 dokumentiert.