Dokumentation zu diesem Projekt

Das Theater von Patara. Ergebnisse der Untersuchungen 2004 bis 2008

Einführung

Die antike Ruinenstätte Patara an der Südküste der heutigen Türkei weist u. a. wichtige archäologische und architektonische Reste aus klassischer, hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit (ca. sechstes Jahrhundert v. Chr. bis sechstes Jahrhundert n. Chr.) auf. Patara war einst eine Hafenstadt im Südwesten der Halbinsel des antiken Lykien in der Mündungsebene des Flusses Xanthos, türkisch Esen-Çayı. Das Theater der Stadt war in den Fuß des direkt neben der Hafeneinfahrt aufragenden Hügels Kurşunlutepe eingeformt und stellte den südlichen, architektonisch und landschaftlich großartigen Abschluss der repräsentativen Haupterschließungsachse der Stadt dar. Die strategisch an sich günstige Position, die Patara zu einem gerne aufgesuchten und sicheren Anlegeplatz machte, scheint der Stadt jedoch auch zum Verhängnis geworden zu sein: Die häufig stürmischen Westwinde bliesen in die nach Südwesten hin gewissermaßen trichterförmig offene Mündungsebene jenes Sandmaterial weiter, das der Fluss im Lauf der Zeit herantransportiert und in der Ebene verteilt hatte, wodurch sich die Küstenlinie immer weiter ins Meer vorschob. Die Sandmassen schnitten nicht nur als Landzunge die antike Hafenbucht allmählich vom Meer ab, sondern wurden auch in die Stadt hinein geblasen, bedeckten ganze Stadtbereiche und verwandelten sie teilweise in eine wüstenähnliche Dünenlandschaft. Der Hafen wurde vermutlich im Mittelalter endgültig aufgegeben. Auch das Theater blieb vom Sand nicht verschont: Das Zuschauerrund wurde fast zur Hälfte, das Bühnengebäude teilweise bis oberhalb der Fenster des ersten Obergeschosses von Sandschichten bedeckt.

Die sonst nirgends an der kleinasiatischen Südküste so ausgeprägten wüstenähnlichen Sanddünen begruben zwar die Architekturreste der antiken Stadt unter sich, konservierten sie aber auch relativ gut. Das Theater von Patara zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Befundvollständigkeit aus: Ein überhalbkreisförmiges Zuschauerrund (koilon) ist weitgehend in situ erhalten und weist Reste einer begonnenen Sonnensegelüberdachung (vela), eines kleinen Theatertempels hinter der obersten Sitzreihe (naos) und eine spätantik-frühbyzantinische Spolien-Mauer am koilon-Fuß auf. Das Bühnengebäude ist einschließlich des ersten Obergeschosses weitgehend erhalten. Von der aufwendigen zweigeschossigen Bühnenfassade (scaenae frons) und von der ebenfalls mit einer vorgestellten Säulenarchitektur versehenen Stadtfassade wurden zahlreiche ornamentierte Bauglieder in Sturzlage gefunden, darunter auch Buntgesteinssäulen; hinzu kommt eine namhafte Anzahl von Inschriften.

Erst am Ende des 20. Jahrhunderts begannen türkische Archäologen, Patara zu untersuchen. Sie konzentrierten sich dabei bald auf die Ausgrabung des besterhaltenen Baus, des Theaters. In den Jahren 1999 bis 2001 wurde zunächst ein erheblicher Teil des Flugsandes abtransportiert und der Theatertempel freigelegt. Eine große Zahl herabgestürzter Bauglieder des koilon und der Außenfassaden des Bühnengebäudes wurde in einen neu angelegten Steingarten nordöstlich des Theaters verlagert. Die Bauforschungsuntersuchungen wurden anschließend in den Jahren 2004 bis 2008 durch ein deutsches Team der Abteilung Bau- und Stadtbaugeschichte der Leibniz Universität Hannover unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Ganzert in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit dem Archäologen Doç. Dr. Hüseyin Alanyalı durchgeführt.

Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden in einer im Jahr 2012 erschienenen Publikation vorgelegt, die neben einer überarbeiteten Fassung der Dissertation der an der Grabung beteiligten Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Katja Piesker sowie Beiträgen des Projektleiters Prof. Ganzert auch Analysen zu den byzantinischen Befunden (Prof. Dr. Urs Peschlow, Johannes Gutenberg-Universität Mainz) sowie zu den Inschriften (Prof. Dr. Helmut Engelmann, Universität zu Köln) enthält. Im Mittelpunkt steht die Auswertung und Einordnung der Baubefunde als Primärquelle für eine Auseinandersetzung mit dem Theater im topographischen und städtebaulichen Kontext. Die erste monographische Befundvorlage eines Theaters in Lykien zeichnet die Geschichte des Theaters von Patara von der hellenistischen Entstehung über die kaiserzeitlichrömische Umgestaltung bis zur mutmaßlichen Aufgabe in frühbyzantinischer Zeit nach und erschließt damit eine überaus wichtige Quelle für die Theater- und Stadtforschung in Lykien und Kleinasien. Viele der hier dargestellten Aspekte werden in der im Allgemeinen auf die scaenae frontes konzentrierten Forschung nur am Rande wahrgenommen, so dass für die in der Monographie behandelten Teilaspekte (Außenfassaden des Bühnengebäudes, Verwendung von Buntgesteinen für die Bühnenfassade, Ziegelsubstruktionen der Bühnen, Theatertempel) die disparaten Informationen zu den kleinasiatischen Theatern für eine vergleichende Betrachtung zusammengestellt werden mussten. Die Verschiebung des Akzents von der Fassaden- hin zur Theaterforschung ermöglicht einen modifizierten Blick und eine differenziertere Bewertung der Stadtentwicklung in dieser Region. So konnte die in der griechisch-hellenistischen Theatertradition wurzelnde hadrianisch-antoninische Umgestaltung des Theaters von Patara durch die Untersuchung als Gesamtanlage besser gefasst werden. Während die frühere Forschung die Adaption der Theater in der Kaiserzeit nach dem Grad ihrer Anpassung an ein vermeintlich römisches Ideal bewertete, betont das Herausarbeiten lokaler und / oder in Kleinasien tradierter Charakteristika die lokale bzw. regionale Identität.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützte das Forschungsprojekt durch die Gewährung von Fördermitteln zur Übernahme von Sach- und Druckkosten.

Projektleitung

Prof. Dr. Joachim Ganzert
Leibniz Universität Hannover, Institut für Geschichte und Theorie der Architektur

Publikation

Katja Piesker / Joachim Ganzert, Das Theater von Patara. Ergebnisse der Untersuchungen 2004 bis 2008. Mit Beiträgen von Helmut Engelmann und Urs Peschlow, Istanbul 2012 (Patara II.2 = Beiträge zur Architektur- und Kulturgeschichte Leibniz Universität Hannover, Abteilung Bau- /Stadtbaugeschichte, Fakultät für Architektur und Landschaft, Bd. 7)

Dieses Projekt wurde im März 2013 dokumentiert.