Dokumentation zu diesem Projekt

Extremism in Early Islam – The Kharijites in comparative perspective

Einführung

Dr. Teresa Bernheimer beschäftigt sich mit der Geschichte des frühen Islam im Mittleren Osten in der Zeit von 600 bis 1200, insbesondere in den Gebieten des heutigen Irak, Iran und Zentralasien. Der Schwerpunkt ihrer derzeitigen Arbeit liegt auf der bekanntesten extremistischen Bewegung jener Zeit, den Kharijiten (arabisch khawārij – „diejenigen, die ausziehen“). Die Kharijiten waren bekannt für extreme Gewalt gegenüber ihren Gegnern. Wer sich nicht zu ihrer Version des Islam bekannte, galt als ungläubig und durfte getötet werden. Als „Kharijiten“ wurden Gruppen bezeichnet, die nicht den beiden anderen Strömungen angehörten: Neben Sunniten und Schiiten gelten sie als „dritter Zweig“ des Islam. In der sonst stark durch Hierarchien und Stammeszugehörigkeit geprägten frühislamischen Welt fiel die Bewegung dadurch auf, dass der ethnische Hintergrund ihrer Mitglieder keine Rolle spielte – auch ein äthiopischer Sklave konnte in der Theorie zum Anführer werden. Nach dem zehnten Jahrhundert verschwanden die Kharijiten und bestanden lediglich an den Randbereichen des muslimischen Einflussbereiches in einer moderaten Form fort. Während sich die historische Forschung zur frühislamischen Geschichte bislang maßgeblich auf die Ausbreitung des Islam im arabischen Raum sowie auf die Entwicklung von Sunniten und Schiiten als wichtigste Ausprägungen der aufstrebenden Religion konzentriert hat, ist die Rolle der Kharijiten eher wenig beachtet worden. Eine wesentliche Ursache hierfür ist das schriftliche Quellenmaterial, das erst im neunten und zehnten Jahrhundert einsetzt und damit zwei bis drei Jahrhunderte nach den beschriebenen Ereignissen. Die Entwicklung der Kharijiten wird in den Quellen sowohl widersprüchlich im Detail als auch stark gefärbt durch den Blick der mehrheitlich sunnitischen und schiitischen Schreiber dargestellt. Die Kharijiten erscheinen als erste „Sekte“ des Islam, ihre Mitglieder als gewaltbereite Rebellen und Häretiker in einer Zeit eines grundsätzlich einheitlichen und moderaten Islam.

Dr. Bernheimer wird als Grundlage für ihre geplante systematische Studie zu Formen religiösen Extremismus’ in der konstituierenden Phase des Islam sowohl die Quellenbasis als auch die Methode weiter fassen. Wie viele andere frühislamische extremistische Bewegungen ließen auch die Kharijiten Münzen prägen, um ihrer Legitimität eine Grundlage zu verschaffen. Die Geldstücke geben Hinweise auf Ziele, Publikum und Umfeld der Gruppe; sie enthalten Informationen zum Ort ihrer Prägung, zum Auftraggeber und zu den religiösen Wahlsprüchen, die in der Regel ausgesucht wurden, um sich von den seitens der Autoritäten verwendeten Münzen abzugrenzen. Die Prägungen des kharijitischen Wahlspruchs lā hukma illā lillāh („es gibt keinen Richter außer Gott“) gehören zu den ersten überhaupt überlieferten Belegen für Material zum Koran, so dass die Münzen auch Ansätze für eine bessere historische Einordnung der Entwicklung des Islam im Allgemeinen bieten. Darüber hinaus wird Dr. Bernheimer prosopographische Daten in ihre Untersuchung mit einbeziehen. Die schriftlichen arabischen Quellen enthalten eine Vielzahl an Informationen zur Einbindung von Personen in Familien und Stämme, die es erlauben, neues Licht auf den sozialen Hintergrund und die Netzwerke der frühen muslimischen Extremisten zu werfen. In einem weiter gefassten methodischen Kontext möchte Dr. Bernheimer die Kharijiten in das religiöse Panorama der Religionen in der Spätantike einordnen und die Anfänge des Islam in Beziehung zu zeitgenössischen Entwicklungen in christlichen und jüdischen Gemeinschaften setzen.

Um ihre Studie in einen breiteren Forschungskontext einzubetten, wird Dr. Bernheimer im Sommer 2019 Forscherinnen und Forscher zur Geschichte religiös motivierter Gewalt in der vormodernen Welt zu einer wissenschaftlichen Tagung zusammenbringen. Ziel ist es, dieses Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Disziplinen zu betrachten und sowohl Muster für extremistische Gedanken und Aktionen zu identifizieren als auch das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen extremistischen Bewegungen und moderatem Mainstream zu schärfen. Die Geschichte des frühen Islam und insbesondere der Kharijiten ist dabei auch für aktuelle Diskussionen von großer Bedeutung: Zeitgenössische Konflikte in der muslimischen Welt werden häufig mit Ereignissen aus der Frühzeit der Religion erklärt, und diese Argumentation verkennt sowohl die Heterogenität der frühislamischen Jahrhunderte als auch die enge Einbindung des Islam in die Welt der Spätantike.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reisekosten und von Kosten für die Durchführung einer wissenschaftlichen Tagung.

Stipendiatin

Dr. Teresa Bernheimer, München

Bildnachweise

Abb. 1: Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Smithsonian Institution, Washington, D.C.: Purchase - Charles Lang Freer Endowment, F1947.19, folio 97r

Abb. 2–3: The American Numismatic Society

Dieses Projekt wurde im März 2018 dokumentiert.