Dokumentation zu diesem Projekt

Ein winzig Bild vom großen Leben. Zur Kulturgeschichte von Münchens erstem Kabarett Die Elf Scharfrichter (1901–1904)

Einführung

Mit dem 1901 in München gegründeten Ensemble „Die Elf Scharfrichter“ nahm die Geschichte des Kabaretts in Deutschland ihren Anfang. Prominente Mitglieder wie Frank Wedekind, Otto Falckenberg und Heinrich Lautensack machten die „Scharfrichter“ binnen kurzem zu einer wichtigen Institution innerhalb der Münchener Kulturszene. Obgleich sich die Gruppierung bereits 1904 aufgrund von personellen und finanziellen Problemen wieder auflöste, ist sie als eines der bedeutendsten Ensembles des frühen deutschen Kabaretts in die Theatergeschichte eingegangen. Als die elf jungen Künstler im April 1901 ihre Bühne eröffneten, war noch völlig unklar, wie die neue Theaterform überhaupt zu definieren sei und welche Ziele das Kabarett verfolgen sollte. Wie viele Intellektuelle und Künstler jener Zeit träumten auch die „Scharfrichter“ von einer umfassenden Theaterreform sowie einer stärkeren Verankerung der Kunst im alltäglichen Leben, die durch das Kabarett erwirkt werden sollte. Die Gruppe wollte mit ihrer Zeit „scharf ins Gericht gehen“ und bemühte sich, neben der reinen Unterhaltung der Gäste auch politische und gesellschaftskritische Themen aufzugreifen. Das Repertoire der „Elf Scharfrichter“ bestand überwiegend aus dramatischen Szenen, Gedichten sowie musikalischen Nummern, darunter deutschen und französischen Liedern, Instrumentalmusik und der musikalischen Untermalung szenischer Beiträge. Dr. Judith Kemp hat im Rahmen ihrer Dissertation eine systematische Dokumentation, Analyse und Einordnung der „Elf Scharfrichter“ vorgelegt und ist dabei der Frage nachgegangen, welche Richtungen und Traditionen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Einfluss auf das Ensemble nahmen. Grundlage für ihre Studie waren Quellenbestände aus mehreren Münchener Archiven. Die Durchsicht der Baupläne des Kabaretts in der Münchener Lokalbaukommission ermöglichte erstmals präzise Angaben über den Theaterraum der „Elf Scharfrichter“. Da keine Regiebücher, Fotos oder Zeichnungen von den Aufführungen überliefert sind, warf die Auswertung von Zeitungsrezensionen neues Licht auf die Art der Präsentation der einzelnen Programm­Nummern. Mit Sandro Blumenthal, Marya Delvard, Marc Henry, Hans Richard Wein­höppel und Robert Kothe hat Dr. Kemp wichtige Sänger und Komponisten des Ensembles in den Blick genommen, deren Leben und Wirken in Vergessenheit geraten waren.

Dr. Kemp konnte detailliert zeigen, wie eng die „Elf Scharfrichter“ inhaltlich und personell mit den Münchener Künstler­ und Intellektuellenzirkeln und deren Themen verbunden waren. Darüber hinaus bezogen die erklärten Bohemiens aber auch Stile aus der Volkssängerszene sowie der bedeutenden lokalen Gitarrenbewegung ein und standen sogar mit der Akademie der Tonkunst, einer überaus bürgerlichen Institution, in Verbindung. Die „Elf Scharfrichter“, so ein zentrales Ergebnis der Arbeit, wiesen keineswegs nur antibürgerliche und freigeistige Züge auf, sondern agierten auch mit bildungsbürgerlichem Anspruch. Dabei begnügten sie sich nicht mit der Kritik an den von ihnen abgelehnten Verhaltensweisen, Werten und Phänomenen, sondern propagierten eine utopische Alternative zu den beklagten Missständen und standen damit ganz im Zeichen zweier auf den ersten Blick unvereinbarer Strömungen der Zeit um 1900, des Vitalismus und der Décadence. Die um einen umfangreichen Anhang mit tabellarischen Listen zum Repertoire und zu den Mitwirkenden ergänzte Dissertation ist im Berichtsjahr im Allitera Verlag, München, erschienen:

Judith Kemp, „Ein winzig Bild vom großen Leben“. Zur Kulturgeschichte von Münchens erstem Kabarett Die Elf Scharfrichter (1901–1904), München 2017 (= Bavaria. Münchner Schriften zur Buch­ und Literaturgeschichte, Bd. 4)

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützte das Projekt durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise­ und Sachkosten und hat für die Veröffentlichung der Dissertation einen Druckkostenzuschuss zur Verfügung gestellt.

Stipendiatin

Dr. Judith Kemp, München

Bildnachweise

Abb. 1: Sammlung Karl Stehle, München
Abb. 2: Lokalbaukommission München
Abb. 3: Privatbesitz Judith Kemp, München
Abb. 4: Privatbesitz Claudia Augustin, München

Dieses Projekt wurde im März 2018 dokumentiert.