Dokumentation zu diesem Projekt

Die Bibliothek aus dem »Haus des Beschwörungspriesters«. Eine arabisch-deutsche Edition des im Jahr 1979 vom Irakischen Antikendienst in Assur freigelegten Tontafelbestandes

Einführung

In den Ruinen Assurs, der am Tigris gelegenen assyrischen Königsresidenz, wurden bei Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa 11.000 Tontafeln und Tontafelfragmente geborgen. Neben großen Archiven mit Dokumenten aus Wirtschaft und Verwaltung entdeckte man umfangreiche Tafelsammlungen mit narrativen, religiösen und gelehrten Keilschrifttexten aus mittel- und neuassyrischer Zeit (ca. 1500–614 v. Chr.), die in sumerischer, assyrischer und babylonischer Sprache verfasst sind. Die in Assur gefundenen Tontafeln und Tontafelfragmente zählen zu den wichtigsten Quellen für die Geistesgeschichte des Alten Orients und beinhalten mythische Erzählungen, Epen, Fabeln, Sprichwörtersammlungen sowie Texte historischen Inhalts. Darüber hinaus lieferten die Ausgrabungen umfangreiche Omensammlungen, astrologische und astronomische »Handbücher«, religiöse Texte aller Art, Festbeschreibungen, Ritualanweisungen sowie Wörterbücher und lexikalische Nachschlagewerke.

Den kulturgeschichtlich bedeutsamsten Fund barg ein als »Haus des Beschwörungspriesters« bekannt gewordenes privates Wohnhaus, in dessen Schutt mehr als 1.200 Bruchstücke literarischer Keilschrifttexte zutage kamen. Die im August 1908 in einem zehn Meter breiten Suchgraben freigelegten Schriftzeugnisse erwiesen sich als die Überreste einer Gelehrtenbibliothek aus dem siebten Jahrhundert v. Chr. mit der Fachliteratur eines assyrischen Heilers, der mit divinatorischen, rituellen, magischen und medizinisch-therapeutischen Mitteln Unheil von König, Land und Leuten fernhalten sollte. Der Bestand vermittelt wie kaum ein anderes Textcorpus tiefe Einblicke in die Heilkunst des Alten Orients und das dahinter stehende Weltbild sowie in das Schreiber- und Gelehrtenwesen im Zweistromland des ersten  vorchristlichen Jahrtausends.

Während die 1908 gefundenen Tafelbruchstücke nach einer Fundteilung entweder in das Vorderasiatische Museum in Berlin oder in die Staatlichen Museen zu Istanbul gelangten, blieb ein Teil des wichtigen Bestandes am Fundort zurück, da das »Haus des Beschwörungspriesters « damals nicht vollständig ausgegraben wurde. Erst im Verlauf der 1979 durch den irakischen Antikendienst wieder aufgenommenen Ausgrabungen in Assur wurde ein weiterer Bestand von etwa 150 Tontafeln sichergestellt, darunter einige als sensationell anzusehende Tontafelbruchstücke mit bislang unbekannten Passagen aus dem Gilgamesch-Epos.

Ziel eines Forschungsvorhabens unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h. c. Stefan M. Maul ist es zum einen, den  Textbestand in einer arabisch-deutschen Edition zugänglich zu machen. Zum anderen möchte der Assyriologe einen Beitrag leisten, die Kooperation von irakischen und deutschen Wissenschaftlern nach Jahren des Kriegs und des  Boykotts wieder aufzunehmen, in der Region erneut internationale Standards für die Erforschung des Alten Orients zu etablieren und dadurch auch die maßgeblich mit den altorientalischen Kulturen verbundene Identität des Irak zu unterstützen. Im Rahmen eines Kooperationsvertrags zwischen den Universitäten in Heidelberg und Bagdad beabsichtigt der Projektbearbeiter, Dr. Anmar Fadhil Mohamed Nouri, das Projekt mit der sich neu aufbauenden irakischen Wissenschaftslandschaft zu vernetzen und im Rahmen von Lehrveranstaltungen im Irak vorzustellen. Nach Abschluss dieser ersten, von der Stiftung für drei Jahre unterstützten Projektphase ist beabsichtigt, den  Arbeitsschwerpunkt mehr und mehr von Heidelberg nach Bagdad zu verlegen.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt für drei Jahre durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums für den Projektbearbeiter, Dr. Anmar Fadhil Mohamed Nouri, sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Projektleitung

Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan M. Maul
Universität Heidelberg, Seminar für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients

Dieses Projekt wurde im März 2013 dokumentiert