Dokumentation zu diesem Projekt

Juden und ihre Monster, 1500–1800

Einführung

Monster sind Kreaturen der Dunkelheit. Sie verbergen sich unter Kinderbetten oder in der Tiefe von Schränken und tauchen erst auf, wenn das Licht gelöscht worden ist. Aus dem Blickwinkel der Geschichtswissenschaft ermöglichen es die schattenhaften Kreaturen, gut versteckte Wahrheiten vergangener Gesellschaften aufzuspüren. Das Wort »Monster« leitet sich ab vom lateinischen monstrum – zeigen, beweisen, enthüllen. Dass Monster für die Unsicherheiten, Brüche, Ängste und Sehnsüchte jener Kulturen stehen, die sie heimsuchen, macht sie für Historiker interessant. Ihre epochenübergreifende Präsenz zeigt zum einen Kontinuität in der Geschichte und verdeutlicht zum anderen die tiefgehende Fremdheit vergangener Kulturen und Denkweisen. Während man sich beispielsweise im 12. Jahrhundert Werwölfe vorstellte, war das 17. Jahrhundert von einer Faszination für monströse Geburten geprägt. Im 19. Jahrhundert bestimmten Untote die Phantasien der Europäer, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sie von Zombies gejagt. Als unzähmbares Wesen widersteht das Monster dabei allen Bemühungen einer klaren Verortung in Genre, Zeit oder Raum und taucht in Romanen, Märchen und Archivalien ebenso auf wie in wissenschaftlichen Abhandlungen und theologischen Werken.

Dr. Iris Idelson-Shein widmet sich in ihrem Forschungsvorhaben den Bildern magischer, erschreckender und hybrider Wesen in der frühneuzeitlichen jüdischen Überlieferung. Im Mittelpunkt stehen Werke aschkenasischen, jiddischen, hebräischen und deutschen Ursprungs, die in einer der unruhigsten Perioden der europäisch-jüdischen Geschichte entstanden und deren Autoren sich mit tiefen und verstörenden Ängsten auseinandersetzten. Im Rahmen ihrer geplanten Monographie wird Dr. Idelson-Shein zunächst der Definition und Bedeutung von Monstern für die jüdische Geschichte der Frühen Neuzeit nachgehen.  In Fallstudien beschäftigt sie sich anschließend mit Monstern in Frauengestalt bzw. mit allgemein mit dem Weiblichen verbundenen Vorstellungen des 17. und 18. Jahrhunderts und beschreibt den Umgang mit dem Monströsen in der jiddischen Sprache. In weiteren Kapiteln behandelt sie wechselnde Sichtweisen auf zusammengewachsene Zwillinge, darunter ein trotz der Empörung bedeutender Rabbis posthum in Venedig ausgestelltes Zwillingspaar.

Abschließend setzt sich Dr. Idelson-Shein mit Mischwesen aus Mensch und Tier auseinander, die die frühneuzeitliche jüdische Literatur durchziehen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob gängige Figuren jener Zeit wie Menschen mit Hundekopf oder Affengesicht sowie Adler mit Menschenkopf auf antijüdische Stereotype zurückzuführen sind. Die Darstellungen von Monstern in jüdischen Schriften aus der Zeit zwischen 1500 und 1800 vermitteln einen Eindruck von Reaktionen auf den tiefgreifenden Wandel der europäischen Gesellschaft im Allgemeinen und der jüdischen Gemeinschaft im Besonderen. Sie beziehen sich auf die Veränderung der jüdisch-christlichen Beziehungen, den Stellenwert der Religion, das Verständnis von Körper und Sexualität sowie die Vorstellung von Identität und Abgrenzung, Familie und Geschlecht. Indem sie das in den jüdischen Quellen allgegenwärtige und mit Exotik, Geheimnis und Schrecken verbundene Bild des Monsters in den Blick nimmt, verspricht Dr. Idelson-Shein neues Licht auf prägende Fragen der frühneuzeitlichen europäischen Gesellschaftsgeschichte zu werfen.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Stipendiatin

Dr. Iris Idelson-Shein, Frankfurt/Main

Bildnachweise

Abb. 1: Fortunio Liceti, De Monstris,
Amsterdam 1665

Abb. 2: National Library of Israel

Abb. 3: Bayrische Staatsbibliothek München, MF 2539, S. 19,
urn:nbn:de:bvb:12-bsb00036332-1

Abb. 4: Bayrische Staatsbibliothek München, MF 2539, S. 19,
urn:nbn:de:bvb:12-bsb00036332-1

Dieses Projekt wurde im März 2017 dokumentiert.