Dokumentation zu diesem Projekt

In der Kunst spielt die Musik

Einführung

Dr. Fiona McGovern beschäftigt sich in ihrem Forschungsvorhaben mit der wechselseitigen Beeinflussung von Kunst und Musik seit den 1960er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt, so die grundlegende These ihrer Arbeit, veränderte sich das Verständnis von „Kunst“ und „Musik“ entscheidend. Zum einen entstanden neue Gattungen, Begrifflichkeiten sowie verstärkt kollaborative Praktiken, zum anderen wandelten sich die Kontexte musikalischer und künstlerischer Präsentation. Ausgehend von einer Synthese der Forschungsliteratur möchte Dr. McGovern das noch nicht aufgearbeitete zeitgenössische wie historische Quellenmaterial, insbesondere Ausstellungskritiken und Archivmaterial zentraler Institutionen, in den Blick nehmen und durch Interviews mit Expertinnen und Experten ergänzen.

Im ersten Teil ihrer Studie wird Dr. McGovern die Entwicklung einer grenzüberschreitenden, multidisziplinären Praxis in den 1960er Jahre aus historischer Perspektive in den Blick nehmen. Musikalische Praktiken nahmen Mitte des 20. Jahrhunderts eine zunehmend konzeptuelle Dimension an und verließen die klassische Konzertsituation. Umgekehrt dehnten mit der Fluxus-­Bewegung in Verbindung stehende Künstlerinnen und Künstler den Musikbegriff so weit aus, dass darunter bereits ein singuläres „Event“ wie das Zerschlagen einer Geige verstanden werden konnte. Die neue Avantgarde an Komponisten wiederum spielte nicht mehr vor einer weitgehend bürgerlichen, an klassischer Musik interessierten Zuhörerschaft im Konzertsaal, sondern häufig in Kunstkontexten und vor einem experimentellen Ansätzen aufgeschlosseneren Publikum. Karlheinz Stockhausens Komposition „Originale“ etwa wurde unter Beteiligung von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern aus dem Fluxusumfeld 1962 in Köln uraufgeführt und brach durch den happeninghaften Aufbau mit sämtlichen bis dato bestehenden Aufführungskonventionen. Wegweisend für einen neuen Umgang mit dem Ausstellungsformat und für die Entstehung dessen, was heute unter „Sound Art“ verstanden wird, war schließlich Nam June Paiks erste Einzelausstellung „Exposition of Music. Electronic Television“, die 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass gezeigt wurde.

Darauf aufbauend wird sich Dr. McGovern im zweiten Teil ihrer Studie künstlerischen Positionen zwischen Kunst und Musik zuwenden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, in welchem Spannungsverhältnis das jeweilige künstlerische Selbstverständnis zu den bestehenden institutionellen Strukturen, aber auch zu der jeweiligen Rezeption stand. Mit dem Aufkommen der Popkultur Ende der 1960er Jahre verwischten die Grenzen zwischen high und low zunehmend. Künstler und Künstlerinnen griffen in ihren Arbeiten Aspekte der Alltags­ und Musikkultur auf, bedienten sich neuer Reproduktionstechniken, gründeten Bands und gestalteten Plattencover. Es entstanden Labels, die bewusst an den Schnittstellen von Musik und Kunst operierten und die etablierten Produktions­ und Distributionsverfahren von sowohl Kunst als auch Musik umgingen. Im Rückblick auf die Zeit der Um-­ und Aufbrüche der 1960er Jahre stellt sich daher die Frage, in welcher Abhängigkeit eine die klassischen Gattungen sprengende Form von Kunstproduktion heute zu den existierenden Distributions­ und Förderpolitiken steht.

Im dritten Schwerpunkt ihrer Studie widmet sich Dr. McGovern der Frage, inwiefern Ausstellungen sowie kuratierte Musikprogramme an Kunstinstitutionen dazu beitrugen, dass Themen und Objekte, die traditionellerweise der Musik-­, Pop­- und Subkultur zugeordnet werden, zunehmend Teil der offiziellen Kunstgeschichtsschreibung und damit auch des etablierten Kanons geworden sind. Übergeordnetes Ziel ist es, einen komparatistischen Ansatz zu entwickeln, der zugleich die sozialen und räumlichen Kontexte berücksichtigt, in denen Künstlerinnen und Künstler, Musikerinnen und Musiker ihre Arbeit präsentieren. Die geplante Studie verspricht zudem neues Licht auf die Frage zu werfen, wie akademisches Schreiben diesem Forschungsfeld gerecht werden kann, und welche Konsequenzen die zunehmende Akademisierung von Phänomenen sowohl jenseits von Mainstream und high art als auch der etablierten Fachgrenzen von Kunstgeschichte oder Sound Studies mit sich bringt.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise­ und Sachkosten.

Stipendiatin

Dr. Fiona McGovern, Berlin

Bildnachweise

Abb. 1: Founding the Expanded Arts, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid, 19.06. – 28.10.2013, S. 227
Abb. 2: Photo: © Dan McCoy / Rainbow, in: Joan Rothfuss, Topless Cellist. The Improbable Life of Charlotte Moorman, Cambridge, Mass: MIT 2014, S. 97
Abb. 3: Courtesy of Primary Information
Abb. 4: Photo: © Avantgarde, Thomas Bruns

Dieses Projekt wurde im März 2018 dokumentiert.