Dokumentation zu diesem Projekt

From Empire to Nation State. A Comparative Analysis of the Emergence of Airspace in the 1920s–1950s Middle East

Abfertigung zweier Maschinen der Misr Airlines, Kairo 1935

Einführung

Das Ende des Ersten Weltkriegs ging mit einer Neuordnung der geographischen Strukturen im Nahen Osten einher. Großbritannien reklamierte dabei nicht nur die Landmasse, sondern auch den Luftraum über Ägypten, Jordanien, dem Irak und dem Palästinensischen Mandatsgebiet für sich. Dies warf gleichzeitig Fragen nach der Kontrolle der Gebiete durch das britische Empire auf. Da die europäischen Siegermächte im Verlauf der Friedensverhandlungen vereinbart hatten, sowohl ihre Armeen als auch die Budgets für Militärausgaben zu reduzieren, befürchtete das britische Luftfahrtministerium, dass die geplante Demobilisierung zu einer Auflösung der neugegründeten Royal Air Force führen könnte. Sir Hugh Trenchard, Oberbefehlshaber der Luftwaffe im britischen Kriegsministerium, schlug daher vor, im Nahen Osten im Sinne einer kostengünstigen und effizienten Lösung Flugzeuge anstelle von Bodentruppen einzusetzen. Kolonialminister Winston Churchill griff diesen Vorschlag während der Konferenz zur Neuordnung des Nahen Ostens in Kairo und Jerusalem im Jahre 1921 auf und regte an, die Gewährleistung der Sicherheit in der Region von der Armee auf die Luftwaffe zu übertragen. Die Überwachung von Protesten sowie die Beobachtung abgelegener Gebiete aus der Luft (air policing) wurde fortan zur wichtigsten Maßnahme des Empire zur „Befriedung“ aufständischer lokaler Gruppen.

Die geographische Lage des Nahen Ostens war für Großbritannien bereits seit der Fertigstellung des Suezkanals von enormer Bedeutung, und mit dem Aufbau eines kommerziellen Netzes sicherer Flugrouten nach Afrika, Südasien und Australien entwickelte sich die Region auch zum Luftfahrt-Drehkreuz. Beispielhaft für die Weiterwirkung imperialer Machtstrukturen war Ägypten: Dort unterhielt Großbritannien drei Luftwaffenstützpunkte, und auch nach der formalen Unabhängigkeit im Jahre 1922 behielten die Briten die Hoheit über den Luftraum und verboten bis in die 1930er Jahre hinein eine eigene ägyptische Luftfahrt. Erst 1932 wurde die Fluglinie Misr Airlines als ägyptisch-britisches Joint Venture gegründet.

Özgür Ögütcü untersucht im Rahmen seines Dissertationsvorhabens, wie sich die Vorstellung von der Bedeutung und Nutzung des Luftraums im Spannungsfeld zwischen britischer Einflussnahme und dem Aufbau lokaler Luftfahrt im Kontext der Etablierung postkolonialer Nationalstaaten im Nahen Osten in den 1920er bis 1950er Jahren entwickelt hat. Am Beispiel Ägyptens, Jordaniens, des Iraks und des Palästinensischen Mandatsgebiets fragt er in vergleichender Perspektive danach, wie koloniale Strukturen den Luftraum formten, wie über Wege und Grenzen in der Luft verhandelt wurde und wie sich diese Diskussionen in der öffentlichen Wahrnehmung der jeweiligen Länder widerspiegelten. Ausgangspunkt ist die These, dass der Luftraum eine bedeutende und bislang in der Forschung nur wenig beachtete Rolle bei der Entstehung von Nationalstaaten, Grenzen und Machstrukturen im Nahen Osten spielte. Grundlage für die Untersuchung sind zum einen Archiv-Dokumente, die Auskunft über die Ausarbeitung und Umsetzung von Richtlinien zur Nutzung des Luftraums geben, zum anderen arabisch-, hebräisch- und englischsprachige Artikel in Tagezeitungen und Magazinen, die zu einem besseren Verständnis der zeitgenössischen Debatten und Praktiken führen sollen. Das Dissertationsvorhaben verspricht neue Erkenntnisse sowohl zur Entwicklung der Vorstellungen über die Nutzung des Luftraums und des Luftverkehrs im 20. Jahrhundert als auch zu imperialen und postkolonialen Machtstrukturen im Nahen Osten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.

Herrn Ögütcüs Promotionsvorhaben ist an die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies angeschlossen, die von der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient in Berlin getragen wird. Die von der Gerda Henkel Stiftung mit Stipendien unterstützte Graduate School widmet sich der inneren Vielfalt, historischen Wandelbarkeit und globalen Vernetzung islamisch geprägter Kulturen und Gesellschaften.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Dissertationsvorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Dieses Projekt wurde im März 2019 dokumentiert.