Dokumentation zu diesem Projekt

Das Massengrab von Uxul und die Funktion von ritueller Gewalt in der klassischen Mayagesellschaft

Einführung

In der Kunst der klassischen Mayagesellschaft (250–900 n. Chr.) gibt es zahlreiche explizite Szenen ritueller Gewalt. Bildliche Darstellungen der vorspanischen Epoche zeigen beispielsweise die Erniedrigung von Gefangenen, die Entnahme und Präsentation von Trophäen sowie Opferungen. Physische Belege für die Durchführung dieser Praktiken konnten im archäologischen Kontext bisher aber nur selten dokumentiert werden. Neuere Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass die klassischen Maya rituelle Gewalt zumeist im Kontext kriegerischer Konflikte anwandten, um Gegner zu erniedrigen oder politische Dominanz zu demonstrieren.

Dr. Nicolaus Seefeld geht im Rahmen seines Forschungsvorhabens systematisch der politischen und religiösen Funktion von ritueller Gewalt in der klassischen Mayagesellschaft nach. Im Mittelpunkt steht das Massengrab von Uxul, das Dr. Seefeld während der Arbeit an seiner Dissertation zum hydraulischen System dieser Mayastätte mittlerer Größe in den Jahren 2013 und 2014 entdeckt und dokumentiert hat. Die Ausgrabung dieses Massengrabs wurden im Rahmen des archäologischen Projekt Uxul, von der Abteilung für Altamerikanistik der Universität Bonn durchgeführt, das während des gesamten Forschungszeitraums von 2009 bis 2015 unter der Gesamtleitung von Prof. Dr. Nikolai Grube stand. Uxul war ein Stadtstaat der klassischen Mayagesellschaft und liegt im heutigen mexikanischen Bundesstaat Campeche, 35 Kilometer süd westlich von Calakmul, einem der größten und einflussreichsten klassischen Mayazentren des Tieflands. Dank der Inschriftentexte aus Uxul ist bekannt, dass dieser Ort während der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts n. Chr. seine Unabhängigkeit verlor und zu einem Vasall Calakmuls wurde.

Das Massengrab von Uxul befindet sich in einer künstlichen Höhle und enthält die Überreste von 20 Menschen, die mit einer Ausnahme enthauptet und zerstückelt worden sind. Die Innenfläche der Höhle war mit groben Steinbrocken und Geröll bedeckt und mit einer Lehmschicht versiegelt. Position und Form der Niederlegung sowie die Manipulation menschlicher Körper legen die Vermutung nahe, dass man die hier Bestatteten mit Geringschätzung behandeln wollte. So wurden Gesichts­ und Schädelfragmente unterschiedlicher Individuen bewusst nebeneinander gelegt und abgetrennte Köpfe vor allem auf dem Gesicht liegend bestattet oder zertrümmert. Die ungewöhnliche Anordnung der einzelnen Körperteile, die deutlichen Spuren von physischer Gewalteinwirkung, das Zerteilen der Körper und die markanten Schnittstellen an den Langknochen deuten an, dass die in dem Massengrab bestatteten Menschen Opfer von ritueller Gewalt waren.

Der exzellente Erhaltungszustand des in Uxul geborgenen Knochenmaterials bietet die einzigartige Möglichkeit, zahlreiche bisher ungeklärte Fragen zum Phänomen ritueller Gewalt in der klassischen Mayagesellschaft exemplarisch zu erforschen. Die physisch­anthropologische Untersuchung ergab, dass die Köpfe und Unterkiefer 25 Männern und zwei Frauen zugeordnet werden können, die zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 17 und 42 Jahre alt waren. Einige Individuen gingen zu Lebzeiten vermutlich Jagd-Aktivitäten nach. Sechs Menschen weisen Zahninkrustationen aus Jade und Pyrit auf, die in der klassischen Mayagesellschaft als Statussymbole galten und eine gehobene soziale Stellung nahelegen. Eine Analyse der Isotopen ­Zusammensetzung des Knochenmaterials soll es ermöglichen, die geographische Herkunft der Individuen einzugrenzen und genauere Erkenntnisse zu den potentiellen Motivationen zu gewinnen, die zu ihrer Tötung führten. Die Daten versprechen etwa Hinweise darauf, ob es sich um Kriegsgefangene aus einem weiter entfernten Mayazentrum oder um Mitglieder der lokalen Gesellschaft handelte. Die Datierung von vereinzelten Keramikscherben zeigte bereits, dass das Massaker zu Beginn des siebten Jahrhunderts stattfand und daher mit dem Verlust der Autonomie Uxuls einherging.

Ziel des Projekts ist die Publikation einer Monographie in englischer Sprache, die die vielfältigen Aspekte des Massengrabs von Uxul umfassend widerspiegelt, Erkenntnisse zu bildlichen Darstellungen, physisch­-anthropologischen Untersuchungen und archäologischen Befunden an Stätten anderer Massengräber der Maya mit einbezieht und auf dieser Grundlage eine fundierte Bewertung von Kontext und politischer Funktion ritueller Gewalt in der klassischen Mayagesellschaft ermöglicht.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Stipendiat

Dr. Nicolaus Seefeld, Bonn

Bildnachweise

Alle Abb.: N. Seefeld

Dieses Projekt wurde im März 2018 dokumentiert.