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Die Eigenen Vier Wände – Schöner Wohnen im Wirtschaftswunder 1960–1974

Einführung

Das Eigenheim ist wieder en vogue – nicht zuletzt als Anlagegut, das gegenwärtig angesichts explodierender Immobilienpreise eine erhebliche Wertsteigerung verspricht. Aber auch als Ausdruck einer bestimmten Lebensform gewinnt die Vorstellung von den „Eigenen Vier Wänden“ wieder an Boden. Das war schon einmal so – zu Zeiten des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit. Gefördert mit staatlichen Zuschüssen schrieb sich das Eigenheim damals fest in die Landschaft und in die Geschichte der jungen Bundesrepublik ein. Wesentlich dazu beigetragen hat eine auflagen- und reichweitenstarke Zeitschrift, die unter anderem in jeder Arztpraxis zu finden war: „Schöner Wohnen“. Das „Journal für Haus, Garten, Wohnen und Gastlichkeit“ prägte seit den 1960er Jahren romantisierende Vorstellungen und Sehnsüchte, aber auch kritische Diskurse sowohl über die bürgerliche Wohnform Eigenheim als auch über dessen architektonische Gestaltung.

Die erste Reportage in Schöner Wohnen stellt einer Schwarzweiß-Fotografie des zerstörten Hamburg-Barmbek eine Farbfotografie des Eigenheims der Familie L. gegenüber.Modernes Raumverständnis trifft tradierte Rollenbilder: Die ‚Hausfrau‘ hat am Nähplatz [G] dank offenerem Grundriss zugleich die Kinder im Blick.Durch die Eigenheimförderung ließen sich für Wirtschaftsminister Ludwig Erhard Wiederaufbau, Wirtschaftsaufschwung und konservative Werte ideal miteinander verbinden.In Eigenheimen der 1960er Jahre begegnen sich traditionelle und modernistische Architekturideen ganz unbefangen. Hier: moderne Kubatur, traditionelle Bauweise.

Indem Jan Engelke „Schöner Wohnen“ als populäre Architekturzeitschrift in den Mittelpunkt seiner Forschung stellt, blickt er aus einer Perspektive des Alltäglichen auf die Spannungen um den beliebtesten und zugleich umstrittensten Gebäudetypus der Bundesrepublik: Traditionelle und moderne Architektur konkurrierten in dieser Zeit ebenso miteinander wie handwerkliche und serielle Produktion oder tradierte und fortschrittliche Rollenbilder. All diese Facetten rund ums Eigenheim gehören zum festen Repertoire des Magazins „Schöner Wohnen“, das Jan Engelke für den Erscheinungszeitraum von 1960 bis 1974 auswertet. Das darin propagierte Modell eines individualisierten und selbstbestimmten Lebensstils wird gleichermaßen von der Redaktion und der Leserschaft verhandelt – in Portraits spannender Eigenheimarchitekturen von heute zumeist in Vergessenheit geratenen Architektinnen und Architekten, in Ratgeberrubriken, Buchrezensionen und Gastbeiträgen, aber auch in den Reaktionen des lesenden Publikums beispielsweise in Form von Leserbriefen. Das architektonische Moment, entstanden zwischen Moderne und Tradition, als sich das Eindringen der Moderne in die Architektur alltäglicher Wohngebäude abzeichnete, wird in der Studie nicht nur aus architekturhistorischen Erwägungen eine besondere Rolle spielen, sondern verbindet sich auch mit einem konkreten Erkenntnisinteresse: die Wiederbelebung populärer Architekturdiskurse, nachdem diese zuletzt an Raum und Relevanz verloren haben.

Stipendiat

Jan Engelke

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums.

Dieses Projekt wurde im Mai 2020 dokumentiert.