Dokumentation zu diesem Projekt

Globalisierungsgeschichte „von unten“ – Weltweite Erkundungen der Arbeitsverhältnisse, 1500–1650

Einführung

Während in Griechenland und Spanien die Arbeitslosenzahlen Rekordhöhen erreichen, versucht die Europäische Union mit Hilfe von elektrischen Zäunen an ihren Südgrenzen Arbeitsmigranten abzuhalten. Während in Europa die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes als Allheilmittel gegen die asiatische Konkurrenz angepriesen wird, sehen sich in China etwa 300 Millionen Wanderarbeiter mit Arbeitsplätzen konfrontiert, die wenig oder keine soziale Absicherung bieten. In den USA arbeiten Ehepaare durchschnittlich länger als die Generation ihrer Eltern und Großeltern, aber ihr Realeinkommen ist ähnlich hoch oder sogar niedriger. Dieser enorme Wandel der Arbeitswelt wirkt sich nicht nur auf das Alltagsleben von Milliarden Menschen aus, sondern verändert auch unsere Wahrnehmung von Arbeit tiefgreifend.

Um diesen Perspektivwechsel zu erkunden, wurde 2007 am Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung die Forschungsgruppe Global Collaboratory on the History of Labour Relations um die Arbeitshistoriker Prof. Dr. Dr. h. c. Marcel van der Linden und Prof. Dr. Jan Lucassen ins Leben gerufen. Die Gruppe setzt sich in ihrer heutigen Form aus insgesamt über 50 Spezialisten für Europa (Niederlande, England, Skandinavien, Spanien, Italien, Portugal), Afrika südlich der Sahara (Äthiopien, Eritrea, Tansania, Zimbabwe, Mosambik, Angola, Südafrika, Ghana, Nigeria, Kamerun, Senegal, Elfenbeinküste, Cape Verde und Guinea Bissau), den Nahen und Mittleren Osten (vor allem Osmanisches Reich, moderne Türkei, Persien / Iran), Indien und Ceylon, Indonesien, Ostasien (China, Japan, Taiwan) und Amerika (vor allem Mexiko, Kuba, Brasilien und Argentinien) zusammen. Regionale Untergruppen haben sich für Portugal bzw. das portugiesische Kolonialreich, das Osmanische Reich und Afrika gebildet.

Im Rahmen eines ersten Forschungsprojekts wurden für den Zeitraum 1500–2000 arbeitshistorisch relevante Daten weiträumig erfasst und die Arbeitsverhältnisse weltweit zunächst für fünf Querschnittsjahre (1500, 1650, 1800, 1900, 2000) klassifiziert und quantifiziert. In dieser von 2007 bis 2012 dauernden Projektphase wurde dazu von der Gruppe gemeinsam ein breit angelegter, die globale Perspektive einnehmender Arbeitsbegriff entwickelt, der die Arbeit aller Angehörigen einer Gesellschaft erfasst: reziproke Arbeit in Familien oder Sippen, die nicht entlohnt wird und der Subsistenz dient; tributäre Arbeit für Staaten oder kleinere Gemeinwesen und Institutionen, sei es unter Zwang, sei es, wie im Fall von herrschernahen Eliten, mit hohem Status versehen; kommodifizierte, im Marxschen Sinn zur Ware gewordene Lohnarbeit und deren Entsprechung, das selbständige Wirtschaften für den Markt. Die Forschungsgruppe entwickelte auf dieser Grundlage, die sich für alle Zeiträume und auf alle Weltgegenden anwenden lässt, ein Datenbank-Format, in dem die quantifizierten Arbeitsverhältnisse von den jeweiligen Spezialisten für bestimmte Regionen aufgrund von Volkszählungen, Steuer- und Arbeitszensusregistern sowie demographischen und ethnographischen Informationen eingegeben werden. Seit Juli 2011 sind Daten von über 40 Querschnittsjahren und Regionen auch öffentlich elektronisch zugänglich (https://collab.iisg.nl / web / labourrelations / results). Ein zweites Ziel des Projekts bestand darin, die wichtigsten Veränderungen der Arbeitsverhältnisse zu identifizieren, globale Zusammenhänge zu zeigen und im Hinblick auf Wandel in der Bewertung von Arbeit und Arbeitsverhältnissen zu deuten.

Im Jahr 2012 bewilligte die Stiftung Fördermittel für eine zweite Projektphase, die der Evaluation und Vertiefung der bisherigen Ergebnisse und ihrer Einbettung in die Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte gewidmet sein wird. In den Jahren 2013 bis 2018 sollen die Veränderungen von weltweiten Arbeitsverhältnissen mit Blick auf sechs Wirkungsfaktoren untersucht werden: staatliche Regulierung, ökonomisch-institutioneller Wandel, Änderungen in Haushalts- und Familienstrukturen, geographische Mobilität, soziale Mobilität und Urbanisierung. Für jedes dieser Forschungsfelder hat die Gruppe Experten gewonnen, die im Rahmen von interdisziplinären Tagungen das Projekt, seine Prämissen, Erklärungsansätze und bisherigen Ergebnisse kennenlernen und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen werden. Die systematische interpretatorische Arbeit wird durch zusätzliche Datenerhebungen für Afrika und China ergänzt. Ausgehend von dem neuen Untersuchungsmodus der Forschergruppe und der Taxonomie mit neuen Standarddefinitionen für Arbeit, welche den weltweit veränderten Realitäten Rechnung trägt, können die Methoden, Fakten und Interpretationen, die dieses Projekt hervorzubringen verspricht, einen wichtigen Beitrag im Diskurs über die große Divergenz und globale Ungleichheit leisten.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung von Fördermitteln zur Übernahme von Personal-, Reise- und Sachkosten.

Projektleitung

Prof. Dr. Dr. h.c. Marcel van der Linden
Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam

Publikation

Erste Ergebnisse sind in einem 2012 im Verlag Cambridge University Press erschienenen Sammelband dokumentiert, in dem die Teilnehmer der Projektgruppe die Hoch- oder Geringschätzung von Arbeit in Europa, Amerika, Nordafrika und Asien in der Frühen Neuzeit in innergesellschaftlichen Zusammenhängen diskutieren:

Karin Hofmeester / Christine Moll-Murata (Hg.), The Joy and Pain of Work: Global Attitudes and Valuations, 1500–1650, Cambridge 2012 (= International Review of Social History, Volume 56, Special Issue 19)

Bildnachweise

Abb. 1: Keng-tschi t'u, Ackerbau und Seidengewinnung in China; ein kaiserzeitliches Lehr- und Mahnbuch, übersetzt und herausgegeben von Otto Franke, Hamburg 1913, Tafel 49, ill. 1.20. Wir danken dem Verlag Walter de Gruyter für die Erteilung der Abdruckgenehmigung.

Abb. 2: Alfredo Muecho, Sammlung IISH

Abb. 3: Daniel P. Kidder, Sketches of Residence and Travels in Brazil, Philadelphia/London 1845, Bd. 1, S. 242. (Installiert auf der Website www.slaveryimages.org, kompiliert von Jerome Handler und Michael Tuite, gefördert von Virginia Foundation for the Humanities and the University of Virginia Library, http://hitchcock.itc.virginia.edu/SlaveTrade/collection/large/kidder2.JPG [Zugang 13.01.2013])

Abb. 4: Wilfried Feldkirchen / Susanne Hilger, Menschen und Marken: 125 Jahre Henkel, 1876-2001, herausgegeben von Ernst Primosch und Wolfgang Zengerling, Düsseldorf 2001, S. 142

40 Jahre - 40 Projekte

Dieses Projekt war Teil der Jubiläumssseite zum 40-jährigen Bestehen der Gerda Henkel Stiftung.

Dieses Projekt wurde im März 2013 dokumentiert.