Dokumentation zu diesem Projekt

Mare Nostrum Project: Die Ostthermen von Gerasa: Bedeutungswandel römischer Skulptur im arabischen Umfeld

Einführung

Vor dem Hintergrund der massiven Zerstörungen von Kulturgütern im Nahen Osten sowie der Fluchtbewegungen innerhalb der Region und nach Europa hat das Kuratorium der Gerda Henkel Stiftung im Herbst 2015 einen „Temporären Förderschwerpunkt für gefährdete und geflohene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Krisengebieten“ eingerichtet. Im Frühjahr 2016 kam ein „Soforthilfeprogramm für Syrien“ hinzu. Ziel der Initiativen: einzelnen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu bieten, weiter forschen zu können, und unter Einbindung lokaler Akteure archäologische und historische Projekte in Syrien und den Nachbarländern auf den Weg zu bringen.

Eine der ersten Fördermaßnahmen war die Unterstützung des Projekts „Mare Nostrum“ – ein Verbund aus mehreren voneinander unabhängigen Teilprojekten in Jordanien. Das Land hat eine Vielzahl syrischer und palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen, die sowohl in riesigen Lagern als auch in den Städten und Gemeinden leben. Der Archäologe Prof. Dr. Thomas Maria Weber-Karyotakis (German Jordanian University, Amman) entwickelte das Vorhaben und übernahm die Koordination. Die Idee hinter „Mare Nostrum“: An den Projekten sind jordanische und syrische Wissenschaftler, Handwerker und Arbeiter aus den palästinensischen und syrischen Flüchtlingslagern, jordanische und syrische Studierende der Ammaner Universitäten sowie die lokale Bevölkerung gleichermaßen beteiligt.

Im Herzen der modernen Stadt Gerasa/Jerash wird in enger Kooperation mit jordanischen und französischen Partnern eine römische Thermenanlage erforscht. Die Ostthermen, die als einziges Baumonument außerhalb des geschützten Antikengeländes inmitten der modernen Stadt liegen, gehören mit etwa 200.000 m2 Grundfläche zu den größten Badeanlagen des römischen Orients. In einigen Abschnitten sind noch bis zu zwölf Meter hohe Decken erhalten.

Im April 2016 erfolgte unter Mithilfe von syrischen Arbeitern der erste Spatenstich zur vollständigen Freilegung der sogenannten Nordhalle der Ostthermen von Gerasa. Schon nach einigen Tagen wurde die harte Arbeit durch einen Sensationsfund entschädigt: Auf der gegenüberliegenden Seite der Nordhalle trat die untere Hälfte einer kolossalen Marmorstatue zutage, die in Sturzlage vorgefunden wurde. Die Position der neben ihr liegenden Säulentrommeln deutete darauf hin, dass die Figur während eines Erdbebens umgestürzt und zu Schaden gekommen sein musste. Am 11. Mai 2016 erfolgte ihre Bergung unter Einsatz eines Krans.

Bei der anschließenden genaueren Untersuchung der Statue zeigte sich, dass das Grabungsteam ein außergewöhnliches Dokument der römischen Kaiserzeit sowohl in kunstgeschichtlicher als auch lokalhistorischer Hinsicht entdeckt hatte: Die untere Hälfte einer ursprünglich etwa drei Meter hohen Statue der nackten Aphrodite, die von ihrem Sohn, dem Liebesgott Eros, begleitet wird. Die Göttin ist im Begriff, ein auf den Boden geglittenes Tuch zwischen den geschlossenen Beinen mit der linken Hand emporzuziehen, um ihre Blöße zu bedecken. Durch eine mehrzeilige griechische Inschrift auf der Vorder- und rechten Seitenkante der Standplatte der Figur sind die historischen Hintergründe ihrer Errichtung überliefert: Zu Ehren des römischen Kaisers stiftete ein reicher, romtreuer Gerasener Bürger namens Demetrios, Adoptivsohn des Asklepiodoros, die Aphroditestatue zusammen mit deren Basis, Altar und Feuerstelle am 20. März 153/54 n. Chr. in einer Nische am ursprünglichen Aufstellungsort, der nicht bekannt ist. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Figur von dort in die Ostthermen der Stadt gebracht.

Die Fundumstände dieses bedeutenden Bruchstücks geben Anlass zur Hoffnung, dass auch die noch fehlenden Teile der Statue bei zukünftigen Ausgrabungen in dem Areal sichergestellt und damit die qualitativ bemerkenswerte Figur vollständig ergänzt werden kann.

40 Jahre - 40 Projekte

Dieses Projekt war Teil der Jubiläumssseite zum 40-jährigen Bestehen der Gerda Henkel Stiftung.

Dieses Projekt wurde 2016 dokumentiert.