Dokumentation zu diesem Projekt

Steinhaus und Stadtanlage um 1100. Hochmittelalterliche Stadtentstehung in Freiburg i.Br. und in Cluny

Einführung

Freiburg im Breisgau gilt als die älteste planmäßig angelegte Stadt des Mittelalters in Südwestdeutschland. Unter der Leitung des Archäologen Dr. Immo Beyer hat sich die Abteilung Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie am Freiburger Hochbauamt von 1985 bis 1998 intensiv mit der Zeit der Stadtgründung befasst. Im Verlauf dieser Forschungen wurden Steinhäuser des 11. und frühen 12. Jahrhunderts dokumentiert, die der frühsalischen Stadtanlage erstmals ein Gesicht geben. Die Bauten zeigen, dass Freiburg 1091 unter Bertold II. (1078–1111) gegründet wurde.

Auf der Suche nach Vergleichen zu den bis dahin singulären Befunden in Freiburg stellte Dr. Bernhard Flüge 1994 den Kontakt zum Centre d’Etudes Clunisiennes im französischen Cluny her. Historischer Rahmen für den Vergleich dieser beiden bedeutenden Städte des Hochmittelalters sind die besonderen Beziehungen zwischen dem Kloster Cluny und der Stadt Freiburg. In Cluny entdeckten die Forscher die beiden bisher ältesten datierten romanischen Steinhäuser in ganz Frankreich, gebaut im Jahre 1091 bzw. 1136. Dr. Flüge hat in Cluny die in Freiburg entwickelte und bewährte Methode der detaillierten Bauanalyse eingesetzt und angepasst. Die neu erkundeten Haustypen des 11. und frühen 12. Jahrhunderts, die den 120 bekannten Häusern des späteren 12. bis 14. Jahrhunderts vorausgehen, sind mit Freiburg vergleichbar und erleichtern die Interpretation des dortigen stark zerschlagenen Bestandes. Sie geben erstmals eine Vorstellung von der Stadtlandschaft Clunys zur Zeit des größten Ausbaus der Abtei unter Hugo von Semur (1049-1109) bis hin zu Peter von Montboissier (1122–1156). Ein wichtiges Zusatzergebnis ist darüber hinaus die Identifizierung und Datierung des größten noch stehenden Bauwerks der Abtei Cluny als Aula von 1108 durch Dr. Flüge. Dieses palatium steht als domus solarata in enger typologischer Verbindung zu den Stadthäusern.

Der typologische Wandel der Häuser im zweiten Drittel des 12. Jahrhunderts war in Cluny wie in Freiburg gravierend. Ausgehend von freistehenden hochmittelalterlichen Einzel- und Saalhäusern, entstanden ab ca. 1130 Reihenhäuser. Diese bilden eine geschlossene Bebauung, die seither das Stadtbild bestimmt und den Blick auf die Frühzeit beider Städte verstellte. Die untersuchten Steinbauten, Höfe und Straßen, Wasserläufe und Stadtmauern erlauben Rückschlüsse auf die Anlage städtischer Siedlung, die in wesentlichen Teilen der Anleitung bei den römischen Landvermessern (gromatici veteres) entspricht.

Forschungsergebnisse: Die Datierung von Münster I in Freiburg
In der baugeschichtlichen Ausstellung „Die romanische Stadt – Freiburg von unten“ zur Architekturwoche Baden-Württemberg 1998 präsentierten die Wissenschaftler der Abteilung Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie ihre Methode und ihre Forschungsergebnisse erstmals anschaulich und greifbar einem breiten Publikum.

Zu den in der Ausstellung vorgestellten Themen gehörte auch der zentrale Bau der Stadt, die romanische Pfarrkirche Münster I und II. Da sowohl in der Bautechnik als auch im Bezug zur ursprünglichen Topographie Gemeinsamkeiten mit dem gleichzeitigen Hausbau festgestellt werden konnten, ordneten die Forscher Münster I zum ersten Mal dem späten 11. Jahrhundert zu. 2004 entdeckte Immo Beyer darüber hinaus drei hochromanische Bauskulpturen zu Münster I, die die frühe Datierung weiter untermauern. Nicht nur die frühesten Stadthäuser, sondern auch die Pfarrkirche trugen daher zur Klärung der eigentlichen Rolle des allgemein irrtümlich als Freiburger Stadtgründungsjahr akzeptierten und gefeierten Datums von 1120 bei: Bei diesem Datum handelt es sich entweder um den Zeitpunkt eines rein juristischen Akts, der den seit dem Ende des 11. Jahrhunderts bestehenden Markt in Schriftform legitimierte, oder möglicherweise auch um das Datum der Anlage der großen Marktgasse als Erweiterung des seit 1091 bestehenden herzoglichen burgus mit Namen Freiburg, die von der Ummauerung des Ortes begleitet wurde. Die Gründung Freiburgs 1091, die bereits erstmalig in den Marbacher Annalen genannt wird, überbaute nach alle Beobachtungen großteils das nach der Wildbannurkunge (1008) geographisch an derselben Stelle verortbare Dorf Mühlendorf Wuorin. Der Ausbau Freiburgs über eine burgus-Phase zur Stadt verläuft sowohl in der zeitlichen Einordnung als auch in der typoligischen und planungstechnischen Ausprägung vielfach parallel zu Cluny zwischen 1090 und ca. 1200.

Ergebnis ist auch eine neue Rekonstruktion von Münster I in Grund- und Aufriss mit Einflüssen aus der Bauschule des Reformklosters Hirsau und aus Oberitalien. Gleichzeitig kann die Annahme des umstrittenen Nikolauspatroziniums über das Bauwerk selbst gesichert werden.

Forschungsergebnisse: Cluny

Das „Haus mit Rundbogentor“ von 1091
Das dendrochronologisch im Einklang mit der Bauerscheinung auf das Jahr 1090/91 datierte Gebäude ist als freistehendes Rechteckhaus mit Obergeschoss und Vorhof zu rekonstruieren. Es entspricht dem Typus des nachantiken Wohnhauses einer gehobenen Schicht, wie ihn etwa Riccardo Santangeli Valenzani in Rom aufgefunden hat. Die Merkmale fehlender Fundamentgräben sowie einer präzisen Grundrissabsteckung über Diagonalen spiegeln die Nähe zu Praktiken des eingeschossigen Schwellen-Pfostenbaus wider, der bis ins 12. Jahrhundert wahrscheinlich die Hauslandschaft Clunys bestimmte. Sein Obergeschoss kennzeichnet das Haus von 1091 als domus solarata. Dieser zeitgenössische Terminus für den besonderen Phänotyp des hochmittelalterlichen Stadthauses mit Obergeschoss(en), wie Etienne Hubert ihn 1990 anhand notarieller Akte italienischer Städte erschlossen hat, kann in Cluny bis in die Einzelheiten am Baubefund illustriert werden; Personenkontakte nach Italien waren in Cluny an der Tagesordnung. Nach Norden hin reicht die Verbreitung des Typus bis an den Oberrhein mit Freiburg i. Br. und wahrscheinlich darüber hinaus.

Der „Saalbau mit hohem Wohnhaus“ von 1136
Das jüngere der beiden Hauptuntersuchungsobjekte in Cluny, dendrochronologisch datiert auf das Jahr 1135/36, vereint auf gemeinsamem Sockelgeschoss einen Doppelsaalbau mit einem viergeschossigen Rechteckhaus, dessen Giebelbreite exakt mit der Breite des Hauses von 1091 übereinstimmt. Der ursprünglich feudale, aus Saal- und Wohntrakt kombinierte Typus wurde am zentralen Kirchplatz der entstehenden Stadt positioniert. Der bauzeitliche Befund wurde vom Fundament bis zum Dachstuhl dokumentiert und erklärt. Typus und Position dieses größten aller romanischen Häuser Clunys lassen darin den Sitz des praepositus vermuten. Das Fragment eines weiteren Saalbaus der Zeit um 1100 wurde in der Nähe des Abteitors gefunden, ebenfalls in exponierter Lage. Trotz der geringen fassbaren Anzahl dieser ältesten Bauten wurden zwischen ihnen klare typologische und konzeptionelle Zusammenhänge festgestellt.

Neue Typologie des romanischen Stadthauses

Die bisher bekannten, straßenfrontbildenden romanischen Reihenhäuser Clunys sind entgegen bisheriger Darstellungen insgesamt erst nach 1150 entstanden. Die Korrektur der verbreiteten dendrochronologischen Datierung des Hauses 23, rue Filaterie von „1109–1149“ auf neu „um 1208“ bestätigt die Ergebnisse der vorliegenden Bauanalyse und räumt der typologischen, konstruktiven und stilistischen Entwicklung des städtischen Steinhauses eine angemessene Zeitspanne ein.

Die Reihenhäuser nehmen das typologische Vorbild des traufständigen Saalbaus mit Sockelgeschoss auf, der in dem großen Haus von 1135/36 vorgegeben ist. Dem eigentlichen Saalbau mit Satteldach ist immer ein Vorbau mit Schleppdach vorangestellt, der die Treppe von der Straße zum Saal sowie ein loggienartiges solarium mit Arkadenfenstern enthält, das nur vom rückwärtigen Saal her zu betreten ist. Erst um 1200 wird die unabhängige Erschließung des solarium eingeführt, das man außerdem mit einem Kamin ausstattet. So entsteht erstmals ein heller und gleichzeitig heizbarer Wohnraum. Der Dachfirst „wandert“ in Richtung der Fassade und verlagert den Schwerpunkt des Hauses zur Straße hin; der Gedanke des Vorbaus ist aufgegeben. Diese Veränderungen komplettieren den Typus des repräsentativen Stadthauses, das an die Verdichtung der Textur angepasst ist. Es kann zunächst der Klasse der meliores burgenses zugeordnet werden, die ab ca. 1150 in Cluny als neue Gruppe auftritt, bevor es im 13. und 14. Jahrhundert zum Standard avanciert.

Die neu identifizierte Aula von 1108 als typologischer Vergleichsbau

In enger, vielleicht vorbildhafter typologischer Verbindung mit den romanischen Saalhäusern der Stadt steht ein Gebäude der Abtei, das unter der Bezeichnung „Écuries“ oder „Hôtellerie de Saint-Hugues“ geläufig ist und als Gästehaus interpretiert wird. Beobachtungen an dem Saalbau mit Sockelgeschoss führten zur Bestimmung eines querrechteckigen Palastaula-Typus mit dreiseitiger Befensterung und einem Mitteltor in der traufseitigen Front. Der über 50 m lange Bau wurde dendrochronologisch auf das Jahr 1107/08 datiert und als mächtigste Architektur der Anlage III nach der Abteikirche erkannt. Es handelt höchstwahrscheinlich sich um die Aula der großen Abtei Cluny III. Dies könnte durchaus derselbe Bau sein, der nachrichtlich als aula imperialis bezeichnet wird, und deren Errichtung Abt Hugo von Semur (1024–1109) kurz vor seinem Lebensende begonnen haben soll. Interessant ist die Pfeilerposition im Erdgeschoss sowie der neu rekonstruierte Rhythmus des Dachstuhls. Beides erschließt die Anwendung eines Entwurfsrasters und die Weise der Baudimensionierung. Die Hauptachse des Baus geht in die Längsachse der Abteikirche II über, deren Galiläa bis um 1300 stand – nicht unähnlich der Anordnung von Aula und Kirche in der Ingelheimer Pfalz. Der heute fragmentierte Vorbau, typologisch nach Hans Koepf und Günther Binding als solarium zu bezeichnen, findet sich vergleichbar an den domus solaratae des 12. Jahrhunderts in der Stadt wieder.

Anlage von Abtei und Stadt
Die akzeptierte Position einer polyzentrischen Siedlungs- und Stadtentstehung Clunys wurde nach der Streuung monumenten- und bodenarchäologischer Befunde, nach historischen Schrift- und Kartendokumenten sowie durch die siedlungsgeographische Betrachtung der Topographie zugunsten eines einzigen, zentralen Nukleus korrigiert. Auch die bisher angenommene Verlagerung des Hauptgewässers Grosne kann nicht bestätigt werden. Erstmals wurde die Interdependenz der Flächenentwicklung von Abtei und Stadt thematisiert. Als Ergebnis lässt sich der antike Ursprung des Ortes an der Überschneidung zweier Fernverkehrswege festhalten, wo sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch der Markt des Ortes befand. In dem bestehenden Ort (villa) wurde um 910 die Abtei angesiedelt, die bis Ende des 1. Jahrtausends ausgebaut und befestigt wurde.

Die Tour des Fromages (um 1000) stellt nach dem vorliegenden Ergebnis einen Eckturm dieser Befestigung dar; die umgebende Siedlung blieb ohne Ringmauer. Der Ausbau der Abtei zur grandiosen Anlage III um 1100 überformte aus Platzmangel einen der alten Wege. Er führte zu der eigenartigen Hochlage des Haupttors der Abtei sowie zur topographischen Unübersichtlichkeit der Stadt. Parallel zur Entstehung der untersuchten Hausarchitektur bezeichnen die Schriftquellen den Ort Cluny in der Zeit zwischen 1094 und 1166 mehrfach als burgus. Die zugehörigen Hausbefunde und ihr typologischer Zusammenhang illustrieren exemplarisch die hochmittelalterliche burgus-Periode, die damit als Vorstufe der mittelalterlichen Stadt begreiflich wird. Kurz vor dem Bau der Stadtmauer (ab ca. 1180) verschwand der Gebrauch dieses Terminus wieder. An die vorhandenen Fernverkehrswege des Ortes wurde ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein trotz der hügeligen Situation einigermaßen rechtwinkliges und geradliniges Straßennetz angesetzt. Diese flächenhafte Siedlungserweiterung nahm Eigenschaften der Planstädte des 13. Jahrhunderts voraus.

Datierung von Münster I in Freiburg

Zur Baugeschichte
Am Freiburger Münster wurde fast 500 Jahre lang gebaut. Von der romanischen Kirche der Stadtgründungszeit („Münster I“), die bisher mit dem Marktgründungsprivileg von 1120 in Verbindung gebracht wird, ist heute jedoch nichts mehr zu sehen. Der letzte Zähringerherzog, Bertold V. (1186–1218), begann, die Freiburger Kirche nach dem Vorbild des Basler Münsters zu erneuern. Aus dieser Zeit stammt das bis heute erhaltene spätromanische Querschiff mit der Vierungskuppel und den Hahnentürmen („Münster II“). Es folgten weitere Bauabschnitte, die bis in die spätgotische Zeit reichten („Münster III“).

Die romanische Pfarrkirche aus der Zeit der Stadtgründung liegt unter dem Fußboden des heute hauptsächlich gotisch geprägten Münsters. Sie wurde 1931/32 bei Grabungen durch den Münsterbaumeister Friedrich Kempf als dreischiffige Basilika mit Vorchorjoch und apsidialen Abschlüssen im Grundriss erschlossen. Wolfgang Erdmann fand während einer Rettungsgrabung 1969 den Westabschluss und Teile des Plattenbodens aus Sandstein. Er legte einen Rekonstruktionsversuch der Kirche vor, die er gemäß dem „Stadtgründungsdatum“ von 1120 in die darauf folgenden Jahrzehnte datiert. Erdmanns Beobachtung, dass sowohl der Grundrisstypus wie auch der Stileindruck der erhaltenen attischen Basen Parallelen im 11. Jahrhundert haben, mündet in die Feststellung, dass es sich um einen retardierenden Bau handele.

Ein systematischer Vergleich der attischen Basen, die Vermessung und zeichnerische Dokumentation ihrer Profile und die typologische Einordnung des Grundrisses ließen Immo Beyer bereits 1988 zu dem Schluss kommen, dass es sich bei Münster I um ein Bauwerk aus dem Ende des 11. Jahrhunderts handelt. Eine Bestätigung brachte der Vortrag des Historikers Karl Schmid 1991, in dem dieser die Glaubwürdigkeit der Annalen des Augustiner-Chorherrenstifts Marbach im Elsass darlegte. In diesem Dokument wird berichtet, Freiburg sei 1091 unter Bertold II. auf Eigengut gegründet worden.

Im Frühjahr 2004 identifizierte Immo Beyer in der Dauerausstellung des Freiburger Augustinermuseums im Kreuzgang eine Löwenskulptur als hochromanisch. Untersuchung, Vermessung und Vergleich zeigten, dass es sich um einen Portallöwen aus dem Ende des 11. Jahrhunderts handelt. Immo Beyer und Bernhard Flüge entschlossen sich daraufhin, die Quellen zu Münster I neu zu sichten und dieses zentrale Bauwerk der romanischen Stadt in die geplante Publikation zu Freiburg und Cluny zu integrieren. Beyer stützte seine Untersuchung auf den Portallöwen und zwei weitere wenig beachtete Werke romanischer Bauskulptur, die bislang ebenfalls dem spätromanischen Bau (Münster II) und damit dem 13. Jahrhundert zugeordnet werden: das Tympanon des Südportals und einen weiteren, im oberen Lichtgaden der nördlichen Außenseite des gotischen Chores eingemauerten Löwen.

Tympanon im Südportal
Das Südportal am Querschiff des Münsters ist durch die vorgebaute Renaissancehalle vor der Witterung geschützt. Betritt man die Vorhalle und geht auf das Portal zu, wird der Blick auf das Hochrelief des thronenden Bischofs gelenkt, der das  Zentrum der flachen Tympanonplatte einnimmt. Im Zuge einer genauen Analyse des Tympanons und der Bischofsfigur gelang es dem Freiburger Projektteam nachzuweisen, dass das Werk für die Verwendung am Südportal von Münster II umgearbeitet wurde und ursprünglich aus der Zeit um 1100 – und damit aus Münster I – stammt. Größe und Qualität lassen auf einen ursprünglichen Standort am Westportal, dem Haupteingang der Pfarrkirche, schließen.

Welcher Heilige ist dargestellt? Vieles spricht für Nikolaus von Myra, den Schutzpatron der Kaufleute, der Wunder an Reich und Arm bewirkte und für Recht, Prosperität und Gemeinsinn in der jungen Stadt bürgte. Nikolaus ist bis heute Patron der Kathedrale in Freiburg im Üechtland (Schweiz), der ursprünglichen Pfarrkirche dieser 1157 gegründeten, ältesten Tochterstadt von Freiburg im Breisgau. Ein ursprüngliches Patronat des Nikolaus für das heute der Maria geweihte Münster in Freiburg im Breisgau könnte erklären, warum die Kirchweih hier am Nikolaustag begangen wurde. Noch heute sind im Münster drei exponierte Stellen dem heiligen Nikolaus gewidmet: die mit Reliefs geschmückte spätromanische Nikolauskapelle, die zwei äußeren Bahnen der gotischen Farbverglasung des Fensters über dem Lammportal mit Darstellungen der bekanntesten Wundertaten des Heiligen und das reich ausgestattete Südportal als Ort auch für Akte der Rechtsprechung. Die Idee des späteren Marienpatronats wäre dann frühestens mit dem Besuch Bernhards von Clairvaux in Freiburg im Jahr 1146 zu verbinden. Bernhard war ein Förderer der Marienverehrung, vollbrachte in der Pfarrkirche mehrere Wunderheilungen und predigte zum Kreuzzug.

Portallöwe im Augustinermuseum
Der heute im Augustinermuseum ausgestellte romanische Löwe wurde 1900 bei Fundamentaushebungen für die Reichsbank an der Ecke Leopoldring/Karlstraße in der Verfüllung des Vaubanschen Festungsgrabens gefunden und bis heute dem spätromanischen Münster II zugeschrieben. Wie beim Tympanon stellte sich auch bei der detaillierten Untersuchung des Löwen heraus, dass dieser deutlich älter ist als vergleichbare Figuren des 12. Jahrhunderts. Der aufrecht sitzende Löwe vertritt den frühen Typus des geradeaus blickenden Pantherlöwen, gekennzeichnet durch Schlankheit, Mantelmähne und den kleinen, katzenhaften Kopf. Sein kräftiger Schweif, der zwischen den Hinterbeinen durchgezogen ist, liegt auf der linken Flanke des Körpers auf. Der Freiburger Löwe gliedert sich in die Reihe der romanischen Portallöwen ein, die, aus Oberitalien kommend, an europäischen Kirchen in den unterschiedlichsten Ausprägungen erhalten sind.

In der Rekonstruktion der Freiburger Wissenschaftler steht der Löwe mit ganzem Körper rechts im Eingang des Westturms auf einem Sockel. Ein zweiter Portallöwe wäre links zu ergänzen, und beide Tiere verengten den Eingang. Ein großes Dübelloch in der Brust des Löwen könnte von der Verankerung eines Eisengitters stammen, das die Turmhalle nach außen hin abgrenzte. Darauf deuten auch die nur von außen beigebrachten Wetzspuren auf dem Rücken des Portallöwen hin. In Verbindung mit dem Tympanon des heiligen Nikolaus könnte der Löwe auf eine Nutzung der Turmhalle von Münster I für Gerichtszwecke hinweisen. Diese Annahme erhärten zwei als Richter dargestellte Figuren gräflicher Stadtherren im gotischen Nachfolgebau an den Frontpfeilern der Turmhalle.

Löwe am Obergaden des Münsterchors
Der zweite von den Freiburger Forschern untersuchte Löwe ist als Protome im Obergaden an der Nordaußenseite des spätgotischen Münsterchores eingesetzt. Vom Hahnenturm aus gesehen, ragt er über dem Scheitelpunkt des zweiten Fensters aus der Wand. Es wurde vermutet, dass der Löwe aus dem spätromanischen Chor stammt, dessen Haupt man Anfang des 16. Jahrhunderts abbrach, um den spätgotischen Chorneubau mit dem Kirchenschiff zu vereinigen. Ein Abguss aus der Zeit um 1900 befindet sich in der Sammlung der Münsterbauhütte. Die Vermessung des Abgusses und Fotos des Originals erlauben eine vorläufige Analyse der Skulptur.

Der liegende Löwe gehört zu den Pantherlöwen ohne Mähnenangabe, einem Typus, der stilistisch ebenfalls um 1100 eingeordnet werden kann. Wie der Portallöwe richtet auch er seinen Blick nach vorn. Mit den Vordertatzen greift er einen im Querschnitt ovalen Rundstab, dessen rechte Seite einen senkrechten Abschluss, evtl. eine Fuge, hat. Aus der Analyse der Figur geht hervor, dass die ursprüngliche Position des Löwen in einem erhöhten Eckbereich lag – er könnte beispielsweise als Fensterlöwe auf der Bank des Achsfensters der Hauptapsis gelagert haben.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Prof. Dr. Stefan Kummer, angesiedelte Projekt seit Herbst 2001 und hat Fördermittel in Höhe von rund 280.000 Euro zur Übernahme von Personal-, Reise- und Sachkosten zur Verfügung gestellt.

Publikationen

Folgende Beiträge wurden bereits veröffentlicht:

Immo Beyer
Bauliche Hinweise zur Gründung Freiburgs im Breisgau 1091. In: Nachrichten des Schweizerischen Burgenvereins März/April 1992, Schweizerischer Burgenverein (Hg.), Basel/Trimbach 1992, S. 58–67

Immo Beyer
Turmhaus (Salzstr. 20) in Freiburg i. Br. In: Die Zähringer. Veröffentlichungen zur Zähringer-Ausstellung II, Sigmaringen 1986, S. 231 f.

Immo Beyer
Zeitzeugen der Gründung Freiburgs. Baugeschichte vor Ort in Steinhäusern des 12. Jahrhunderts. Vorschlag einer Ausstellung aus Anlass der 875-Jahrfeier der Stadt Freiburg im Jahr 1995, Hochbauamt der Stadt Freiburg/Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie (Hg.), Freiburg 1994

Immo Beyer
Haus zum Wetzstein. Dokumentationsmappe der Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie des Hochbauamtes Freiburg, Freiburg 1996

Immo Beyer
Haus Münzgasse 1. Dokumentationsmappe der Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie des Hochbauamtes Freiburg, Freiburg 1996

Immo Beyer
Haupthaus des Grafenhofs um 1000. Dokumentationsmappe der Stadtkernforschung und Monumentenarchäologie des Hochbauamtes Freiburg, Freiburg 1997

Immo Beyer / Bernhard Flüge
Des maisons romanes de Fribourg en Brisgau aux maisons romanes de Cluny, in: Centre d’Etudes Clunisiennes (Hg.), Bulletin 1997, S. 22–26

Immo Beyer / Bernhard Flüge
Cluny (Saône-et-Loire), 20, rue du Merle. Ancienne cour avant de la maison romane initiale. Rapport du diagnostic archéologique, Cluny 1998

Bernhard Flüge / Pierre Garrigou Grandchamp / Jean-Denis Salvèque
Saône-et-Loire – Une maison romane datant de l’an 1091 à Cluny. In: Bulletin monumental Bd. 158 (II/2000), Actualités, Paris 2000, S. 151–155

Bernhard Flüge
Steinerne Profanhäuser in Cluny um das Jahr 1100. In: Burgen und Schlösser 1/2001, Europäisches Burgeninstitut (Hg.), Braubach/Koblenz 2001, S. 27–39

Bernhard Flüge
Steinerne Profanhäuser in Cluny um das Jahr 1100. Vorbericht zur Dissertation. In: Europäisches Burgeninstitut, Dt. Burgenvereinigung (Hg.), Burgen und Schlösser 1/2001, S. 27–39, 15 Abb.

Bernhard Flüge
Steinerne Profanhäuser um das Jahr 1100. In: Koldewey-Gesellschaft, Bericht über die 41. Tagung für Ausgrabungswissenschaft und Bauforschung vom 31. Mai bis 4. Juni 2000 in Berlin, Stuttgart/Karlsruhe 2002, S. 85–88

Bernhard Flüge
Das „Haus mit der Abortnische“ von 1139/40. Einführung in die Bauaufnahme und Bauanalyse. WS 2007/08 – Ergebnisse der studentischen Bauaufnahme und Bauuntersuchung im Keller des Stadtarchivs Freiburg, Salzstraße 18 (Kunstgeschichtliches Institut der Universität Freiburg i. Br.). Mit studentischen Texten, Freiburg 2008

Bernhard Flüge
Domus solaratae der Periode Cluny III. Licht-Lösungen an Profanbauten der Zeit um 1100. In: Peter Schneider/Ulrike Wulf-Rheidt (Hg.): Licht – Konzepte in der vormodernen Architektur (Deutsches Archäologisches Institut. Diskussionen zur Archäologischen Bauforschung 10), Berlin 2011, S. 289–303

Bernhard Flüge
Baukultur aus historischer Perspektive. Die Fachklasse Historische Baukultur der International Graduate School Cottbus. In: Smitri Pant/Leopold Schmidt/Haiko Türk (Hg.): Forschen, Bauen und Erhalten 04 (Jahrbuch 2010/2011), Bonn und Berlin 2011

Bernhard Flüge
Construction and Conception Techniques of Residential Buildings and Urbanism in Medieval Europe around 1100 AD: The Example of Cluny, France. In: Robert Ousterhout/Renata Holod/Lothar Haselberger (Ed.): Masons at Work. Architecture and Construction in the Pre-Modern World. Center for Ancient Studies Symposium, Philadelphia 2012
(http://www.sas.upenn.edu/ancient/masons/fluge-masons.pdf)


In Vorbereitung

Bernhard Flüge
Domus solaratae der Periode Cluny III. Steinhaus und Stadtanlage um 1100 am Beispiel Cluny – Baugeschichtliche Grundlagen zur Erkundung des Hochmittelalters. Manuskript der Dissertationsschrift, 482 S. (m. Beiheft Planlegende), 230 Abb., 50 separate Planbeilagen mit eigenhändigen Bauaufnahmen, Rekonstruktionen und Karten (Publikation innerhalb der Studies series des Max-Planck-Instituts für Wissenschafsgeschichte)

Dieses Projekt wurde zuletzt 2011 dokumentiert.