Dokumentation zu diesem Projekt

Die Thaws: High Society, Medien und Familie in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Einführung

Um 1900 etablierte sich in den Vereinigten Staaten eine neue soziale Formation, die nicht wie die so genannte Upperclass nur auf Vermögen basierte, sondern sich stattdessen maßgeblich medial konstituierte – die High Society. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich ein gleichsam doppelter, wechselseitig aufeinander bezogener »Professionalisierungsprozess« beobachten, der Massenmedien wie High Society gleichermaßen erfasste. Zum einen spezialisierte und differenzierte sich der amerikanische Journalismus und bildete eine distinkte Gesellschaftsberichterstattung aus. Diese definierte Kriterien, wonach bestimmte, gesellschaftlich auffällige Personen und Ereignisse berichtenswert waren, und legte damit zugleich fest, wer der High Society zuzurechnen war. Zum anderen verinnerlichten die Angehörigen der High Society zunehmend ihrerseits die medialen Regeln, verhielten sich entsprechend und erprobten selbst medienaffine Handlungsweisen, welche die Journalisten wiederum aufgreifen und fortschreiben konnten. Die Aufnahme in die High Society lässt sich daher als gesellschaftliche Projektion sozialer Zugehörigkeit beschreiben: Ihre Mitglieder (oder diejenigen, die es werden wollten) mussten in einem mehrfachen wechselseitigen Prozess als solche anerkannt werden – von ihresgleichen, von den einschlägig befassten Journalisten und von den Konsumenten entsprechender Medienprodukte.

Eine Forschergruppe am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze beschäftigt sich am Beispiel von zwei Generationen der Familie Thaw mit der Verknüpfung von Massenmedien und High Society in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anhand von zwei zeitlich aufeinander folgenden Teilprojekten sollen die Herausbildung und Entwicklung der High Society über rund 50 Jahre analysiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere der jeweils unterschiedliche Gebrauch und Stellenwert der Medien. Die Doktorandengruppe, die in engem Kontakt mit der Medienstelle des Lehrstuhls für Zeitgeschichte steht, wird dort organisatorisch wie fachlich von Dr. Nicolai Hannig mitbetreut.

Das erste Teilprojekt »The Crime of the Century: der Fall Harry K. Thaw« konzentriert sich auf die Frühphase dieser Entwicklung. Mit seinem Protagonisten Harry Thaw (1871 – 1947) beleuchtet er den Zeitraum von ca. 1900 bis in die späten 1910er Jahre. Harry löste einen Medienskandal aus, als er 1906 den berühmten New Yorker Architekten Stanford White erschoss. Dieser hatte einige Jahre zuvor angeblich Harrys Ehefrau, das Revuegirl Evelyn Nesbit (1884 – 1967), vergewaltigt. Harry wurde gerichtlich für unzurechnungsfähig erklärt und verbrachte die folgenden sieben Jahre in einer psychiatrischen Anstalt. Bevor Harry Stanford White erschoss, war er »nur« Mitglied einer sehr reichen Familie. Doch im Rahmen des Skandals stilisierten die Massenmedien die Tat zum Murder of the Century und machten Harry zu einer Person des öffentlichen Lebens. In diesem Zusammenhang war die High Society im Prozessverlauf von Bedeutung, wenn es darum ging, Harrys Persönlichkeit gerichtlich oder medizinisch zu beurteilen bzw. ihn im Gefängnis oder in der Anstalt unterzubringen. Darüber hinaus lässt sich am Fall Harry Thaw zeigen, wie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA sowohl Justiz / Recht als auch die Psychiatrie zunehmend den Bedingungen der Massenmedien anpassten und – ebenso wie andere Gesellschaftsbereiche – von deren inhärenten Logiken und Dynamiken durchdrungen wurden.

Juliane Hornung nimmt im zweiten Teilprojekt »Margaret und Lawrence Thaw: Vom Honeymoon zur Expedition – ein High Society-Paar auf Reisen« einen Zeitraum in den Blick, in dem sich die Modi der Berichterstattung soweit stabilisiert hatten, dass sich die High Society in ihrer Interaktion an die mediale Logik anpasste und diese ihrerseits fortschrieb. Die New Yorker Millionäre Margaret (1902 – 1995) und Lawrence Thaw (1899 – 1965), Neffe von Harry Thaw, reisten von 1924 bis 1940 als Privatiers durch Europa, die Karibik, Afrika und Indien. Dabei hielt das Paar seine Erlebnisse auf 16-Millimeter-Filmen fest: Aus den Jahren von 1924 bis 1934 sind zehn Amateurfilme überliefert. 1936 und 1939 / 40 produzierten Lawrence und Margaret darüber hinaus in Zusammenarbeit mit der National Geographic Society (NGS), dem American Museum of Natural History und bedeutenden Hollywoodstudios zwei professionelle Filme. Das Projekt gibt einerseits Einblick in die individuellen Lebensumstände der Thaws, indem es deren Vorstellungen von Geschlecht, sozialer Klasse, Rasse, nationaler Identität, Körperbildern, Familie oder distinktivem Konsumverhalten betrachtet. Zugleich präsentierten sich Lawrence und Margaret mit ihren Filmen immer auch als Angehörige der High Society in unterschiedlichen Öffentlichkeiten, vom Upper East Side-Freundeskreis bis hin zur massenmedialen US-amerikanischen Kinoöffentlichkeit. Dabei spielten sie bewusst damit, die Grenzen zwischen öffentlich / privat, professionell / amateurhaft zu verschieben, während sie ihr Publikum doch immer im Blick behielten.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt durch die Gewährung von zwei Promotionsstipendien sowie mit Fördermitteln zur Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Projektleitung

Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze
Ludwig-Maximilians-Universität München,
Historisches Seminar, Lehrstuhl für Zeitgeschichte

Dieses Projekt wurde im März 2016 dokumentiert.