Die Atmosphäre im Palais des Congrès in Versailles war elektrisierend, ja euphorisch: Am 16. November 2018 verabschiedete die 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM) eine neue Definition des Kilogramms. Die Orientierung am Pariser Prototypen – das "letzte Überbleibsel" des alten metrischen Systems – war ersetzt. Fortan würden alle Maßeinheiten auf universellen Naturkonstanten basieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 54 Nationen trafen den Beschluss einstimmig. Sie vertrauten dabei gemeinsam auf Verfahren und Instrumente, die nur sehr wenige von ihnen selbst replizieren konnten. Auf diese Weise realisierten sie einen Traum von Einheit, der in der Wissenschaftsgeschichte zuvor wiederholt gescheitert war. Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Lorraine Daston geht diesem Traum nach. Ihr nun vorliegender Text ist die ausführliche Fassung eines Vortrags, den die Wissenschaftshistorikerin im vergangenen September anlässlich ihrer Auszeichnung mit dem Gerda Henkel Preis gehalten hat (Lorraine Daston, Der Traum von der Einheit der Wissenschaft, Gerda Henkel Vorlesung, Münster 2023).

Die emeritierte Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte beschreibt drei historische Versuche, den Traum von der Einheit der Wissenschaft zu verwirklichen. Sie zeigt, dass es sich um verschiedene Versionen dieses Traums handelte. Die Publikation enthält zudem ein Gespräch, das die Preisträgerin im Rahmen des Festprogramms mit dem Kunsthistoriker Prof. Dr. Peter Geimer (Paris) geführt hat. Thema ist die wechselvolle Geschichte wissenschaftlicher Abbildungen – von der kunstvoll gestalteten Illustration bis zum Mammutprojekt einer hochtechnisierten Darstellung des Schwarzen Lochs. Denn der Mensch benötigt Bilder. Er ist die Spezies, so Lorraine Daston, "die mit Bildern denkt".