Dokumentation zu diesem Projekt

Fernwasserleitungen im kaiserzeitlichen Kleinasien. Ein Innovationsprozess und sein urbanistischer und soziokultureller Kontext

Die Wasserleitungen durchquerten tiefe Täler meistens mit Hilfe eines oberirdischen Druckabschnitts. Die Leitung, wie hier bei Patara, lag auf einer Steinmauer auf, die Rohre selbst waren in Steinblöcke eingelassen, um dem Wasserdruck standzuhalten.
Die Bauschrift an der sogenannten Pollio-Brücke dokumentiert in Latein und Griechisch das Engagement des C. Sextilius Pollio in Ephesos, der aus eigenen Mitteln eine mit Marmor verkleidete Aquädukt-Brücke errichten ließ. Sie überquerte weithin sichtbar eine viel befahrene Straße Richtung Ephesos

Zugang zu sauberem Trinkwasser ist der Inbegriff grundlegender Infrastruktur und zählt heute zu den öffentlichen Pflichtaufgaben. In der Antike war die Verfügbarkeit einer ausreichenden Menge qualitativ hochwertigen Quellwassers hingegen nur selten gegeben. Erst römische Fernwasserleitungen konnten diese Situation verbessern. Kein Wunder also, dass die leitungsgestützte Wasserversorgung trotz hoher Kosten und personellem Aufwand im gesamten Römischen Reich von beinahe jeder Stadt genutzt wurde.

Ausgehend von epigraphischen Quellen untersuchte die Historikerin Dr. Saskia Kerschbaum die Geschichte dieser Art von Wasserversorgung anhand der Städte im kaiserzeitlichen Kleinasien mit dem Ziel, die Gründe für deren Erfolg zu analysieren und den daraus resultierenden soziokulturellen Wandel sichtbar zu machen. Fernwasserleitungen, wie sie in der Kaiserzeit gebaut wurden, waren eine architektonische Neuheit, die dem technischen Austausch zwischen Rom und dem griechischen Osten entsprang. Sie bieten daher die Möglichkeit, die Entwicklung eines neuen Bautypus und die damit einhergehenden kulturellen Adaptionsprozesse mitzuverfolgen. Wurden Aquädukte als etwas typisch Römisches angesehen oder wurden sie als Teil des Stadtbildes in die städtische Selbstdarstellung integriert? Wie formierte sich der mit dem Bauwerk untrennbar verbundene kulturelle Code, also die Symbolsprache, die mit den Leitungen assoziiert wurde?

In ihrer Analyse identifiziert Dr. Kerschbaum drei mögliche Akteure, die als Träger und Initiatoren der Infrastrukturmaßnahmen in Frage kommen: die Kaiser und ihre Statthalter, die Euergeten, also reiche Bürger, die sich Einfluss erkaufen wollten, und die Poleis. Anhand der dichten kleinasiatischen Überlieferung – vor allem Inschriften – gelang es, detailliert aufzuschlüsseln, wer für die Verbreitung der Fernwasserleitungen verantwortlich war und wer dafür bezahlte. Dabei stellte sich heraus, dass den Poleis die Schlüsselrolle zufiel. Die städtischen Gremien zählten nicht nur zu den Hauptfinanziers, sondern mussten die Bereitstellung und Entsorgung von Wasser insgesamt organisieren und die Funktionstüchtigkeit des Systems garantieren.

Eine geregelte Wasserversorgung sowohl mit Brauchwasser als auch als Schmuck- und Erholungselement avancierte im Laufe der Zeit zu einem entscheidenden Teil städtischer Repräsentation und Identität. Zeitgenössische Autoren feierten Wasserleitungen als die vollkommene Verbindung von nützlicher Ingenieurs- mit ästhetischer Baukunst. Einmal gebaut, beeinflussten die Aquädukte nicht nur die Bereitstellung von Wasser, sondern bewirkten einen vielfältigen Wandel in fast allen Lebensbereichen: Sie galten bald als Grundvoraussetzung für eine lebenswerte Stadt. 

Die beeindruckenden Aquäduktbögen der Aqua Claudia, einer Leitung nach Rom, machen deutlich, welchen Einfluss die Leitungen auf die Landschaftsgestaltung hatten. Der Großteil eines Aquädukts verlief unterirdisch, doch entlang von Straßen oder kurz vor der Stadt kam die Leitung ans Tageslicht - sicherlich auch aus ästhetischen Gründen

Auch die reiche Oberschicht der Städte betätigte sich auf dem Gebiet des Wasserbaus im urbanen Umfeld. Anders als die Poleis finanzierten die Euergeten jedoch kaum Wasserleitungen und schienen sich auch nicht für die Infrastruktur verantwortlich zu fühlen. Ihr Augenmerk galt den schönen, im Stadtbild sichtbaren Annehmlichkeiten wie Bädern und Zierbrunnen. Die Rahmenbedingungen lagen in der Verantwortung der Kaiser. Die zentral organisierte Suprastruktur des römischen Kaiserreichs sorgte für den notwendigen Frieden und die Rechtssicherheit, um derartige Großprojekte umzusetzen. Nur in Ausnahmefällen und Notsituationen beteiligten sich die Kaiser oder ihre Statthalter direkt am Bau von Aquädukten, eine gezielte Romanisierung lässt sich also nicht beobachten. Die dominante Rolle der Städte ist hierbei eine Besonderheit Kleinasiens, denn sie konnten auf eine jahrhundertealte urbane Kultur zurückblicken, wie sie im Römischen Reich kein zweites Mal existierte.

Die Forschungsergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Funktionsweise antiker Städte sowie zu Aushandlungsprozessen städtischer Identität und wurden im Berichtsjahr als Monographie veröffentlicht.

 

 

Stipendiatin

Dr. Saskia Kerschbaum, München

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützte das Vorhaben durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Druckkosten.

 

Dieses Projekt wurde im März 2022 dokumentiert.