Dokumentation zu diesem Projekt

Hearth & Home: Emerging Landscapes of „Nomadic“ Settlement in the Southern Siberian Iron Age

Herd und Heim.
Landschaften der „nomadischen“ Besiedlung in der südsibirischen Eisenzeit

(übersetzter Projekttitel) 

„Wir Skythen haben keine Städte oder Felder (…) Wir haben die Gräber unserer Väter,“ lässt Herodot den Skythenkönig Idanthyrsos sprechen. Ein Bild, das bis heute nachwirkt. Nicht nur der Vater der Geschichtsschreibung und seine griechischen Nachfolger, sondern auch die Chronisten der chinesischen Zhou- und Han-Dynastien charakterisierten ihre Nachbarn als höchst mobile, ortsunabhängige Nomaden, die sich von den sesshaften, schreibenden Völkern unterschieden, mit denen sie oft im Krieg lagen. Ihre großen Grabhügel und Steinmonumente erheben sich über die Steppe und faszinieren Archäologen seit Jahrhunderten. Wo substantielle „nomadische“ Siedlungen entdeckt wurden, interpretierte man sie als außergewöhnliche Antworten auf spezifische Umweltbedingungen und soziopolitische Ereignisse.

Verständlich also, dass die Archäologie der eisenzeitlichen Nomadenvölker Eurasiens immer noch weitestgehend eine Begräbnisarchäologie ist, deren Narrativ von einer begrabenen Elite bestimmt ist. Das Forschungsprojekt der Archäologen Dr. Peter Hommel, Dr. Rebecca O’Sullivan und Dr. Yury Esin lenkt den Fokus auf das Leben der eisenzeitlichen Nomaden, denn bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass es möglich ist, neben den Grabhügeln und Monumenten auch prähistorische Siedlungen zu identifizieren. Mehr noch: Sie waren sogar weit verbreitet. Trotzdem ist bisher fast nichts vom Leben der einfachen Menschen in diesen Siedlungen bekannt.

Ziel des Projektes ist es, die Überreste des täglichen Lebens und der Umwelt der Menschen im Südsibirien des 1. Jahrtausends v. Chr. zu untersuchen, um Kontinuitäten und Veränderungen in den nomadischen Gesellschaften aufzudecken. Diese Gelegenheit bietet sich im Minusinsker Becken im sibirischen Teil Russlands. Die von Gebirgen begrenzte Senke ist ein reichhaltiger Mikrokosmos der Steppe und für seine eisenzeitlichen archäologischen Funde bekannt – nicht zuletzt für seine in Stein eingefassten Grabhügel. Mehrere Hundert dieser Stätten wurden untersucht, aber kaum eine der Siedlungen.

Auf einer Vorkampagne von 2018 aufbauend wird Dr. Hommels Team zwei sehr unterschiedliche Siedlungsstellen ausgraben: Eine kleinere, Bol’shoy Sakhsar-2 und eine größere, Uzun Khir. Beide Stellen verbindet der architektonische Stil, und sie befinden sich jeweils in Umgebungen mit hoher Siedlungs- und Begräbnisdichte, über die fast nichts bekannt ist. Deshalb werden die Ausgrabungen mit einer breit angelegten Untersuchung des Umlands kombiniert, um notwendige Daten über die Landschaft und die Siedlungsstruktur zu gewinnen. Abgerundet durch anschließende Analysen im Labor – darunter Flotation, um bioarchäologisches Material sicherzustellen – wird so die Welt der eisenzeitlichen Bevölkerung sichtbar: die Gebäudestrukturen, die Saisonalität der Besiedlung, ihr Handwerk und ihre Ernährung und vielleicht sogar Unterschiede im Zugang zu und in der Produktion von Ressourcen.

Das Projekt bindet dabei die lokale Bevölkerung mit ein, um die Funde in der Geschichte der Region einzuordnen. In Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten für Folklore und historische Ethnographie soll so ein Bild von Landnutzung und Siedlungsstrategie in der Region entstehen, das auch den sich wandelnden Bezug der Hirten zu ihrem Erbe berücksichtigt.

Die Menschen vor Ort sind auch an der Aufbereitung der Ausgrabungen und bei der Erstellung entsprechender Schaumaterialen und Informationstafeln beteiligt. Die Forschungsergebnisse werden auf Fachkonferenzen vorgestellt und in einer Serie von Fachartikeln publiziert.

Projektleitung

Dr. Peter Hommel, Dr. Rebecca O’Sullivan, Dr. Yury Esin

Institution

University of Liverpool, Universität Bonn, Khakassian Research Institute of Language, Literature and History, Abakan (Russland)

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung von Forschungsstipendien sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

 

Dieses Projekt wurde im März 2022 dokumentiert.