Dokumentation zu diesem Projekt

Trans-Imperial Objects: The Albums of the „German House“ in Constantinople Between Renaissance Europe and the Ottoman World

Laut einer Notiz auf der Rückseite wurde dieses Portrait des regierenden osmanischen Sultans Murad III. 1573 nach lebendem Vorbild („ad vivum“) für Christoph Pfister gemalt. Pfister, ein Adliger aus Augsburg, begann 1559 während seiner Studienjahre in Padua und Venedig mit der Sammlung von Signaturen. Zwischen 1573 und 1575 gehörte er dem Botschaftsstab unter David Ungnad in Konstantinopel an, wo er wahrscheinlich den ausscheidenden, residierenden Künstler Lambert de Vos beauftragte, dieses Portrait zu malen.

Einführung

Seit einiger Zeit wird die klassische Diplomatiegeschichte der Frühen Neuzeit, die sich vornehmlich auf Friedensverträge und „offizielle“ Zusammentreffen von Herrschern und Gesandten konzentriert, durch eine umfassende Betrachtung unterschiedlicher Akteure, Austauschebenen und Interaktionsformen erweitert. Dabei sind auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den Habsburgerkaisern und der Hohen Pforte in den Blick genommen, oftmals jedoch als sporadische Kontakte zwischen ansonsten voneinander abgegrenzten Kultursphären verstanden worden. Zudem wurde den Ländern, die die Diplomaten auf ihrem langen Weg von Wien nach Konstantinopel und zurück zu durchqueren hatten, relativ wenig Aufmerksamkeit zuteil.

Prof. Dr. Robyn Dora Radway geht in ihrem zwischen Geschichte und Kunstgeschichte angesiedelten Forschungsvorhaben den Beziehungen zwischen Habsburg und dem Osmanischen Reich auf Grundlage einer ungewöhnlichen Quellenart nach: Sie untersucht rund dreißig gedruckte oder handgefertigte Kostümalben, die sich in Archiven in Europa und den USA befinden. Sie enthalten Bildersammlungen von Menschen, Trachten und Gebräuchen aus allen Schichten der osmanischen Gesellschaft, die die habsburgischen Gesandten und ihr Gefolge im sogenannten Deutschen Haus in Konstantinopel zwischen 1550 und 1595 angelegt haben. Die Abbildungen zeigen Sultane und Staatsbeamte ebenso wie einfache Soldaten und Straßenkünstler. Obgleich in Lehrbüchern und Museen häufig zur Illustration herangezogen, sind die Entstehungs- und Nutzungszusammenhänge derartiger Kostümbücher bislang weitgehend unerforscht. Dabei lassen sich die Bilderalben des Deutschen Hauses geradezu als „transimperiale Objekte“ bezeichnen: Wie Wasserzeichen nahelegen, wurde das kostbare Papier aus Mitteleuropa herbeigeschafft, um zunächst von osmanischen Zeichnern reich mit Ornamenten verziert zu werden. Die anschließend auf den Seiten aufgebrachten Abbildungen stammen von deutschen, polnischen, flämischen, niederländischen, ungarischen, italienischen, griechischen, anatolischen und persischen Künstlern. Ihre Auftraggeber nutzten die Alben, um die ihnen fremde Gesellschaft besser zu verstehen.

Durch die Untersuchung der in den Alben dokumentierten sozialen Kontexte möchte Prof. Radway bislang wenig beleuchtete Erscheinungsformen des europäisch-osmanischen Kulturkontakts in den Blick nehmen. Dabei geht sie unter anderem der Frage nach, wie die Alben die Wahrnehmung des „Türken“ seitens des europäischen Publikums prägten. Die Bilder wurden häufig weitergegeben, vervielfältigt und in neuen Umgebungen rezipiert, wodurch nicht selten die Unmittelbarkeit der direkten Erfahrung verloren ging und kulturelle Missverständnisse entstehen konnten. Neben dem Korpus der Kostümbücher bezieht Prof. Radway daher auch Gesandtschafts- und Reiseberichte, Briefe, Tagebücher und Werke höfischer Geschichtsschreibung in ihre Analyse mit ein. Ziel ist es, vermeintlich eindeutig abgrenzbare Kulturräume zu dekonstruieren und dabei Narrative nationaler Identität ebenso zu hinterfragen wie überkommene Zuschreibungskategorien wie „westlich“, „europäisch“ oder „türkisch“. Als Ergebnis ihrer Arbeit möchte Prof. Radway eine Monographie vorlegen und eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit Museen in den USA und Europa entwickeln.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Projekt durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Dieses Projekt wurde im März 2019 dokumentiert.