Astronomical images. Technologies, practices and aesthetics (1870–1910)

Astronomische Bilder. Technologien, Praktiken, Ästhetik (1870–1910)

(übersetzter Projekttitel)

Als der italienische Astronom Giovanni Virginio Schiaparelli (1835–1910) die günstige Position des Mars im Jahr 1877 nutzte und sein Teleskop auf den roten Planeten richtete, erkannte er feine Linien: „Marskanäle“. Schiaparellis Entdeckung löste auch aufgrund von Übersetzungsfehlern einen regelrechten Hype um den Mars aus, verbunden mit Spekulationen über die Existenz außerirdischen Lebens, die in der populären Kultur des späten 19. Jahrhunderts großen Widerhall gefunden haben. Die von Wissenschaftlern und Amateurastronomen geführte Debatte um die Marskanäle hielt mehrere Jahrzehnte an und wirkte wie ein Katalysator für die methodische Weiterentwicklung der Astronomie. So versuchte der Amerikaner Percival Lowell mithilfe der Photographie den Beweis zu erbringen, dass es die Marskanäle tatsächlich gab. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich die Erkenntnis durch, dass das, was Schiaparelli und viele andere zu sehen geglaubt hatten, der Effekt einer optischen Täuschung war, hervorgerufen durch die Tendenz des menschlichen Auges, winzige Punkte zu linearen Mustern zusammenzufügen.

Darstellung Schiaparellis von Achille Beltrame auf der Titelseite der Sonntagszeitung „La Domenica del Corriere“, 28. Oktober 1900

Die Kontroverse um die Marskanäle ist mehr als eine Fußnote in der Wissenschaftsgeschichte; an ihr lässt sich exemplarisch das Zusammenspiel von neu aufkommenden Beobachtungs- und Messinstrumenten, Bildgebungsverfahren und ästhetischen Konventionen in der Astronomie und Astrophysik des späten 19. Jahrhunderts untersuchen. Auf eine solche „Archäologie des astronomischen Sehens“ zielt das Forschungsvorhaben der Kunsthistorikerin Dr. Sara Romani. Dabei leitet sie die Ausgangsthese, dass der Einzug der Photographie im wissenschaftlichen Kontext aufs engste mit benachbarten Praktiken wie dem Zeichnen, Messen und Notieren der astronomischen Daten verbunden war.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht das Wirken Schiaparellis, der als Direktor des „Osservatorio Astronomico di Brera“ in Mailand einer der angesehensten Astronomen seiner Zeit war. Schiaparellis Methode der Wahl war noch nicht die Photographie, sondern das Zeichnen des Gesehenen. Anhand der elf Notizbücher Schiaparellis, die im Zuge seiner Marsbeobachtungen zwischen 1877 und 1900 entstanden sind und unzählige Berechnungen, Diagramme und Detailskizzen enthalten, wird der gesamte Prozess der astronomischen Wissensproduktion ablesbar. Darüber hinaus beschäftigte sich Schiaparelli auch intensiv mit den Drucktechniken und gestalterischen Fragen, die mit der Vervielfältigung und Publikation der Bilder einhergingen. Hiervon zeugen Briefwechsel mit anderen Wissenschaftlern, Amateuren und nicht zuletzt technischen Spezialisten wie dem Lithographen Ilario Sormano. Sie alle versuchten, ihr Wissen und handwerkliches Können an die neuen Instrumente anzupassen, diese aber gleichzeitig für die Weiterverfolgung ihrer Erkenntnisinteressen in Dienst zu nehmen.

Die Erforschung der astronomischen Bildgenese verspricht, den Einfluss neuer Apparate und Verfahren auf die visuelle Erfahrung und die darauf beruhenden Visualisierungen genauer zu bestimmen. Der Wandel der Wahrnehmungsprozesse ging nicht allein von der Photographie aus, sondern wurde ebenso durch verwandte Innovationen wie die Photogrammetrie, die Spektroskopie und verbesserte Teleskope geprägt. Indem Dr. Romani auch solche Bilder in die Analyse einbeziehen wird, die nicht physisch, sondern nur als Beschreibungen in Schiaparellis Schriften überliefert sind, trägt ihre Arbeit zur Weiterentwicklung photographiegeschichtlicher Methoden bei. Die Forschungsergebnisse werden in Aufsätzen in einschlägigen Zeitschriften zur Theorie und Geschichte der Photographie publiziert und fließen in eine Monographie ein.

Stipendiatin

Dr. Sara Romani, Parma

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung eines Forschungsstipendiums sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Das Projekt wurde im Frühjahr 2024 dokumentiert.