Early Modern Democracy

Frühneuzeitliche Demokratie. Von direkter Beteiligung zu repräsentativen Institutionen

Demokratie wurde oft als vielköpfiges Monster beschrieben und die Tat des Herkules damit zur antidemokratischen Allegorie. Guercino (1591-1666): Herkules und die Hydra, Zeichnung auf Papier, nach 1606, 21,1 x 31 cm

(übersetzter Projekttitel)

Die Demokratie gilt in der Meistererzählung der Modernisierung als Kern der westlichen Zivilisation, und die mit diesem Begriff verbundenen Werte sind heute trotz wachsender Skepsis weit verbreitet. Was heute allgegenwärtig ist, begann als ungewöhnliches historisches Phänomen mit weitreichenden intellektuellen Auswirkungen. Bislang schrieb man die Geschichte der Demokratie üblicherweise zunächst als kurzes Aufblühen der direkten Demokratie im klas­sischen Athen und dann, nach einer langen Pause, als Aufstieg der modernen repräsentativen Demokratie – ausgehend von den „demokratischen Revolutionen“ des späten 18. Jahrhunderts. In dieser Erzählung wird die frühe Neuzeit – abgesehen von wenigen Ausnah­men – für die Geschichte der Demokratie als vernach­lässigbar betrachtet.

Dennoch ist bei aller Forschung zur Geschichte der Demokratie immer noch unbekannt, woher ihre Wurzeln in der Neuzeit stammen. Hier setzt das Pro­jekt von Prof. Dr. Peltonen an. Ziel ist es zu zeigen, dass die Frühe Neuzeit für die Entwicklung der demokratischen Idee von entscheidender Bedeutung war. In dieser Zeit unterlief sie einen grundlegenden Wandel: Durch eine Reihe konzeptioneller Verände­rungen begann die Demokratie, ihre Verbindung mit der direkten Beteiligung der Bürger zu verlieren, und wurde als eine Regierungsform angesehen, in der eine repräsentative Institution die souveräne gesetzgebende Gewalt innehatte.

Dabei ist bislang auch unklar, was der Begriff „Demokratie“ in der Frühen Neuzeit überhaupt aus­gesagt haben könnte. Das Team um Professor Peltonen untersucht daher die Werke frühneuzeitlicher Befür­worter und Kritiker der Demokratie, um die unter­schiedlichen Bedeutungen und Definitionen von Demokratie herauszuarbeiten. Was wurde über Demokratie geschrieben? Wie wurde sie definiert, und welche Art von Regierungen oder politischen Arrangements galten als demokratisch? Um diese Fragen zu beantworten und zu ergründen, wann und wie sich der Begriff „Demokratie“ durchsetzte, obwohl er fast überall auf Ablehnung stieß, nähern sich die Forscher dem Komplex in drei chronologisch gestaffelten Einzelprojekten an:

Vincenzo Foppa (ca.1430-1515): Der Junge Cicero bei der Lektüre, ca. 1464, Fresko, 101,6 x 143,7cm.

Im ersten untersucht Dr. Cesare Cuttica die Demo­kratie in der transalpinen Renaissance des 16. Jahr­hunderts. Dabei nimmt er besonders in den Blick, wie die aristotelische Definition von Demokratie adaptiert wurde und welchen Bedeutungswandel sie durchlief. Im Rahmen des zweiten Unterprojekts widmet sich Professor Peltonen der Demokratie in den konstitu­tionellen und republikanischen Schriften des späten 16. und 17. Jahrhunderts – insbesondere anhand von Jean Bodins Souveränitätsthese. Es mag paradox erscheinen, dass Bodin, ein Verfechter des Absolutismus, eine wichtige Rolle in der Geschichte der Demokra­tie spielte. Gleichwohl fungierte er als zentraler Stich­wortgeber für die ersten Verteidiger der Demokratie im 17. Jahrhundert. Seine Unterscheidung zwischen Souveränität und Regierung beziehungsweise Verwal­tung wurde zum Kernelement demokratischer Theo­rie: Entscheidend dafür, ob ein Staat eine Monarchie, eine Aristokratie oder eine Demokratie ist, sei der Sitz der Souveränität.

Im dritten Einzelprojekt beleuchtet Dr. Ere Nokkala die Neudefinition der Demokratie im poli­tischen Denken des 17. und 18. Jahrhunderts. Unter den Stichworten Naturrecht und politische Ökonomie erklärt er, wie der Begriff „Demokratie“ viele seiner ursprünglichen Charakteristika verlor, die von den klassischen Autoren mit der attischen Demokratie in Verbindung gebracht wurden – insbesondere die glei­che Möglichkeit der Bürger, sich an der Verwaltung des Gemeinwesens zu beteiligen.

Die Forschungsergebnisse der Einzelprojekte werden auf Fachtagungen vorgestellt und in Artikeln sowie als Monographien publiziert. Zusammengefasst ergeben sie eine umfassende historische Interpretation der Demokratie und des demokratischen Denkens im Europa der Frühen Neuzeit. Diese soll im Rahmen des zweiten Bandes der Cambridge History of Democ­racy veröffentlicht werden.

Projektleitung

Prof. Dr. Markku Peltonen

Institution

University of Helsinki

Förderung

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt das Vorhaben durch die Gewährung von Forschungsstipendien sowie die Übernahme von Reise- und Sachkosten.

Das Projekt wurde im Frühjahr 2023 dokumentiert.