Dokumentation zu diesem Projekt

Die Conférences der Académie Royale de Peinture et de Sculpture

Einführung

Die Conférences, kunsttheoretische Vorträge und Diskussionen an der Pariser Académie Royale de Peinture et de Sculpture, wurden unter Ludwig XIV. (1648–1715) initiiert und hatten bis über die Französische Revolution hinaus Bestand. Die bisher zum weitaus größten Teil unbekannten und unveröffentlichten Vorträge, Protokolle oder Mitschriften, Schlüsseldokumente der französischen und europäischen Kunsttheorie, werden im Rahmen des deutsch-französischen Forschungsprojektes in einer kritischen und im Ansatz historischen Ausgabe ediert und kommentiert.

Die Epoche Ludwigs XIV.

Untersuchungsgegenstand der ersten Phase des Projekts (2001–2004) waren die Conférences der Epoche Ludwigs XIV. Innerhalb von drei Jahren konnte dieser Teil mit der Bearbeitung von drei Bänden wie geplant abgeschlossen werden. Die in 2004 beendeten Arbeiten am ersten Band der Ausgabe der Conférences umfassen den Zeitraum von der Gründung der Akademie 1648 bis zum Ende der Amtszeit des ersten Sekretärs, Henry Testelin, 1681, der als Protestant im Oktober des Jahres seines Amtes enthoben wurde. Beim Studium der Conférences kristallisierte sich für die Projektgruppe schnell der weit in das 18. Jahrhundert hinein reichende, prägende Einfluss der Historiographen auf den Fortgang und die Art der Diskussionen heraus. Diese Einsicht führte zu der Entscheidung, das Quellenmaterial in Bandfolgen zu gliedern, die sich an den durch die personellen Wechsel bedingten Einschnitten orientieren. Mit der Abfolge der Einzelbände werden somit zugleich die historischen Entitäten innerhalb der Akademiegeschichte markiert, die sich durch eine spezifische Praxis der Conférences, aber auch durch eine unterschiedliche Ausrichtung der Diskussion auszeichnen.

Für den ersten Band wurden 142 Manuskripte transkribiert, verglichen und ausgewertet (einschließlich Varianten und Abschriften), von denen 107 Vorlesungen in kommentierter Form und mit einem philologischen Apparat versehen erscheinen werden. Die im Typoskript knapp 600 Seiten zählende erste Folge der Conférences und die vorgesehene, umfangreiche Illustration der Publikation (40 Farb- und 60 Schwarz-Weiß-Abbildungen) führten zur Entscheidung, den ersten Band in zwei Unterbände aufzuteilen. Der Band ist inzwischen erschienen, ebenso wie ein ebenfalls in zwei Teilbände unterteilter zweiter Band, der die Conférences der Jahre 1682–1699 unter Gillet de Saint-Georges enthält.

Mit den Conférences der Epoche Ludwigs XIV. steht der Forschung ein verlässliches und vollständiges Kompendium zur kunsttheoretischen Diskussion in Frankreich zur Verfügung, das bereits breite Resonanz in der Fachwelt und die Anerkennung der Académie française erfahren hat. Wesentliches Resultat dieser Arbeit ist die Einsicht, dass das kunsthistorische Urteil über den französisch geprägten Theoriediskurs, aber auch über die Kunstproduktion des 17. und 18. Jahrhunderts auf unzulänglichen, teilweise sogar falschen Prämissen beruht und einer fundamentalen Neuinterpretation unterzogen werden muss. Statt eines starren, staatlichen Direktiven folgenden akademischen Kanons herrschte in der Akademie ein heterogener, weit mehr an künstlerisch-praktischen Fragen als an Problemen staatlicher Repräsentation interessierter Diskurs vor.

Die Conférences im 18. Jahrhundert

In der zweiten Förderphase wurde über die zunächst beabsichtigte Edition der Conférences bis zum Tode Ludwig XIV. (1715) hinaus die folgenreich auf Europa ausstrahlende Diskussion zu Theorie und Praxis der bildenden Künste bis 1747, Ende der Amtszeit von Nicolas Guérin, bearbeitet.

Kann die Diskussion an der Akademie von ihrer Gründung bis zum Tod Ludwigs XIV. als Ringen um bisweilen gegensätzliche Kunstprinzipien und um die Lösung der Frage nach der Lehrbarkeit von Kunst umschrieben werden, so fand die Arbeit unter Ludwig XV. sowie Ludwig XVI. unter tief greifend veränderten Rahmenbedingungen statt. Nach der Krise der Akademie im Anschluss an den Tod des Sonnenkönigs im Jahre 1715 führten ab Mitte des 18. Jahrhunderts die erwachende Kunstkritik und die Entwicklung eines vielfältigen Kunstmarktes zu einer lebendigen Diskussion um die Künste auch außerhalb der Akademie, die sich zunehmend als dynamisch agierender, flexibler Korpus erwies. Die Conférences des 18. Jahrhunderts geben ein beredtes Zeugnis sowohl der unterschiedlichen Positionen der nunmehr öffentlich geführten Diskussion über die Künste als auch der Fähigkeit der Akademie, sich in der theoretischen Reflexion über die Aufgaben der Lehre und Ausbildung junger Künstler an die Entwicklung der Zeit anzupassen und die auch fernab der Akademie vorangetriebene Auseinandersetzung einzuholen. Zugleich setzte ein markanter Historisierungsschub ein, der sich in den als Künstlerviten gehaltenen Vorlesungen, den Conférences zur Vorbildlichkeit des Zeitalters Ludwigs XIV. und den Textsammlungen zur Akademiegeschichte niederschlug. Neben der Möglichkeit, den inhaltlich stark veränderten Diskurs nachzuzeichnen, verspricht die Fortführung der Edition bis zur offiziellen Auflösung der Akademie am 8. August 1793 auch wichtige Rückschlüsse auf die bereits bearbeiteten Konferenzen des 17. Jahrhunderts, die erst in diesem erweiterten Kontext in ihrer ganzen Vielfalt erfasst werden können.

Im Zuge des Projektfortganges wurde immer deutlicher, wie sehr die Conférences als Verweissystem zu verstehen sind. Als wesentliche (auch) orale Kommunikationspraktik waren sie geprägt von mannigfaltigen Rückbezügen und Querverweisen, nicht nur auf die zeitgleiche Kunstproduktion und die institutionelle Geschichte der Akademie, sondern auch dezidiert auf den vorgängigen Diskurs über die Künste. So erschließen sich die kunsthistorisch relevanten Zusammenhänge – und im Falle verlorener Autographen oftmals der Inhalt der jeweiligen Vorlesung – nur durch die Kenntnis des gesamten Korpus überlieferter Manuskripte. Bereits für den ersten Band konnte die Rekonstruktion der in den Conférences formulierten Kunsttheorie in Teilen nur durch den Vorgriff auf die spätere Überlieferung erreicht werden. Die Praxis der Relectures – so werden Texte des 17. Jahrhunderts bis 1760 immer wieder erneut gelesen und modifiziert – und die retrospektiven Versuche zu einer Akademiegeschichte erwiesen sich als unabdingbares Hilfsmittel, um den Fortgang der Diskussionen annähernd lückenlos zu dokumentieren. Um ein möglichst präzises Bild der Entwicklung in den von Überlieferungsverlusten besonders betroffenen ersten Bänden zu gewinnen, wurde der Korpus der Conférences bis weit in das 18. Jahrhundert hinein in einer ersten Übersicht erfasst.

Fördermaßnahmen

Die Gerda Henkel Stiftung unterstützt die Edition der Conférences seit 2001 und hat Fördermittel in einer Gesamthöne von rund 490.000 Euro zur Verfügung gestellt, die sich auf ein Forschungsstipendium für den Projektkoordinator, Dr. Markus Castor, drei Stipendien für die wissenschaftlichen Mitarbeiter sowie Fördermittel für Reise-, Sach- und Veranstaltungskosten verteilen.

Organisation

Das deutsch-französische Forschungsprojekt ist am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris angesiedelt und wird in enger Zusammenarbeit von mehreren Wissenschaftlern, Institutionen und Kooperationspartnern aus Frankreich und Deutschland durchgeführt. Gegenwärtig sind folgende Personen und Institutionen beteiligt:

Projektleitung:

Prof. Dr. Andreas Beyer
Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris

Prof. Dr. Jaqueline Lichtenstein
Université Paris IV, La Sorbonne

Prof. Dr. Christian Michel
Université de Lausanne

Kooperationspartner:

École Nationale Supérieure des Beaux-Arts
Académie Française

Publikationen

Veröffentlichte Bände der Conférences:

Jacqueline Lichtenstein, Christian Michel (Hg.)
Les Conférences au temps d’Henry Testelin. 1648–1681, Condé-sur-Noireau 2006 (= Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, Bd. 1, Teilbände 1 und 2)

Jacqueline Lichtenstein, Christian Michel (Hg.)
Les Conférences au temps de Guillet de Saint-Georges. 1682–1699, Condé-sur-Noireau 2008 (= Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, Bd. 2, Teilbände 1 und 2)

Jacqueline Lichtenstein, Christian Michel (Hg.)
Les Conférences au temps de Jules Hardouin-Mansart. 1699–1711, Condé-sur-Noireau 2009 (= Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, Bd. 3)

Jacqueline Lichtenstein, Christian Michel (Hg.)
Les Conférences entre 1712–1746, Condé-sur-Noireau 2010 (= Conférences de l'Académie royale de Peinture et de Sculpture, Bd. 4, Teilbände 1 und 2)

Folgende weiteren Publikationen sind unter anderem aus dem Projekt hervorgegangen:

Markus A. Castor
Die Conférences der Académie Royale de Peinture et de Sculpture und die Autonomie der Kunst – Kunstdialog als Agens historischer Entwicklung, in: Christoph Oliver Mayer (Hrsg.), Akademien und Autonomie. De l'autonomie des académies, 2005

Christian Michel
Le goût pour le dessin en France aux XVIIe et XVIIIe siècles – de l’utilisation à l’étude désinteressée, in: Le Dessin = Revue de l’art 143 (2004), S. 27–34

Christian Michel
Le Laocoon, in: Revue germanique internationale 19 (2003), S. 105–117

Christian Michel
Le chevalier Bernin et l’einseignement artistique en France, in: Le Bernin et l’Europe, hrsg. Von Chantal Grell und Milovan Stanic, Paris 2002, S. 93–105

Christian Michel
Bellori et l’Académie royale de peinture et de sculpture – une admiration bien tempérée, in: L’idéal classique, hrsg. von Olivier Bonfait [Collection d’histoire de l’art de l’Académie de France à Rome; 1), 2002, S. 105–115

Christian Michel
Les relations artistiques entre l’Italie et la France (1680–1750) – la contradiciton des discours et de la pratique, in: Studiolo 1.2002, S. 11–19